Goethes Farbenlehre im Lichte neuerer Untersuchungen aus Physik, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie.
Vortrag Farbkonferenz am Philosophicum in Basel, 29. – 30. September 2017.
Redner: Prof. Dr. Olaf Müller
Philosoph, Humboldt Universität zu Berlin,
Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften und Naturphilosophie
29.09.2017
Dauer: 32:55 min
Abstract
Vor Newton betrachtete man die Farbränder, die bei Lichtbrechungen entstehen, als Verschmutzung. (Sie nervten z.B. den Astronomen beim Blick durchs Linsenteleskop). Indem Newton die farblichen Verschmutzungen steigerte, statt sich an ihrer Beseitigung zu versuchen, wählte er die Parameter für seine Brechungs-Experimente so aus, dass sich die schönsten Ergebnisse zeigten; auf dieses ästhetisch optimale Experiment der Weißanalyse stützte er seine Theorie. Nun muss sich laut Newton jeder optische Prozess rückgängig machen lassen – das ist die Forderung der Zeitsymmetrie, deren Erfüllung unter Physikern als schön gilt. Und in der Tat drehte Newton sein Experiment um, indem er die Spektralfarben wieder zusammenbrachte (Weißsynthese).
Eine andere Symmetrie ist von Goethe in die Optik eingeführt worden: Wenn man in den Ausgangsbedingungen der newtonischen Weißanalyse die Rollen von Helligkeit und Dunkelheit vertauscht, dann kehren sich im Versuchsergebnis alle Farben in ihr Gegenteil um, und man sieht das Komplementärspektrum. Ästhetischerweise beherrscht diese Farbsymmterie das gesamte Gebiet der newtonischen Optik; so lässt sich auch Newtons Weißsynthese farblich umkehren, wobei die Schwarzsynthese entsteht (nachgewiesen durch Ingo Nussbaumer). Inzwischen sind weitere Experimente durch Hell/Dunkel-Vertauschung umgedreht worden, sogar Herschels Experiment zum Nachweis der unsichtbaren Infrarot-Strahlung (Matthias Rang / Grebe-Ellis). Wie man sieht, führt die ästhetisch motivierte Forderung nach weitgehenden Symmetrien u. U. zu neuen empirischen Entdeckungen. Warum unser Schönheitssinn diese erkenntnisleitende Kraft hat, ist ein philosophisches Rätsel, das bis heute einer Lösung harrt. Mehr dazu im Buch von Olaf Müller: Zu schön um falsch zu sein (Fischer Verlag 2018).
Programmübersicht:
Freitag, 29. September
- Prof. Dr. Johannes Grebe-Ellis: Einführung „Ich habe nicht gebaut, aber gesäet habe ich“
- Dr. Matthias Rang: Neue experimentelle Ergebnisse und ihre Beschreibung – ein Versuch, ontologische Aussagen der Optik des 19. Jahrhunderts aufzuweichen
- PD Dr. Timm Lampert: Newtons experimentelle Beweise
- Johannes Kühl: „ein Muster…, wie man physikalische Forschung behandeln soll…“ – Zum Aufbau der Goetheschen Farbenlehre
- Ingo Nussbaumer: Schnittstellen und Brüche. Über einige Prinzipien von Kunst und Wissenschaft
- Prof. Dr. Olaf Müller: Symmetrien und andere Schönheiten in der Optik
- Prof. Dr. Gunnar Hindrichs: Heisenbergs Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre
- Prof. Dr. Friedrich Steinle: Goethe als Farbenforscher im Kontext seiner Zeit: ein neuer Blick
Samstag, 30. September
- Dr. Pehr Sällström: On the compatibility of Goethe’s colour theory with that of Newton
- Prof. Dr. Dr. Brigitte Falkenburg: Grenzen der Farbsymmetrie
- Prof. Dr. Axel Buether: Die Wirkungen der Farben auf unser Erleben und Verhalten: Von Goethes Farbenlehre zur Farbpsychologie der Gegenwart
Wissenschaftliches Symposium
«Ich habe nicht gebaut, aber gesäet habe ich»
vom
29. September 2017 09:00
bis
30. September 2017 13:00
Wissenschaftliches Symposium. Goethes Farbenlehre im Lichte neuerer Untersuchungen aus Physik, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie.
Veranstalter
Philosophicum im Ackermannshof, Stefan Brotbeck und Renatus Ziegler
in Kooperation mit Johannes Grebe-Ellis, Matthias Rang und dem Förderverein Experiment FARBE, Basel
St. Johanns-Vorstadt 19–21,
CH-4056 Basel
Telefon: +41 (0)61 500 09 30
www.philosophicum.ch