Ein Interview von Thomas Raukamp
Kaum ein Unternehmen setzt bei der Gestaltung seiner Produkte so intensiv auf die Macht der Farben wie Apple. Zusammen mit dem Farbforscher Prof. Dr. Axel Buether gingen wir auf Erkundungstour durch vier Jahrzehnte Designkultur.
Mac Life | Herr Prof. Dr. Buether, gibt es so etwas wie eine „Psychologie der Farben“?
Axel Buether | Als Experte für visuelle Wahrnehmung und Kommunikation erforsche ich seit vielen Jahren die psychologische Wirkung von Farben auf unser Erleben und Verhalten. Die Ergebnisse sind sehr viel komplexer als die allgemein bekannten Farbsymboliken, da sich die Wirkung jeder Farbe mit dem Gegenstand und Kontext der Wahrnehmungssituation verändert. Wenn sich Menschen für die Farbe eines Produktes entscheiden, dann präferieren sie nur selten ihre Lieblingsfarbe. Kunden wählen die Farbe, welche nach ihrem Gefühl oder ihrer Überzeugung am besten zu dem Produkt passt. Deshalb entscheiden sich Kunden weltweit bei hochwertigen technischen Geräten oder Autos am häufigsten für Schwarz, Weiß, Grau oder Silber. Unbuntfarben unterstützen Assoziationen wie Wertigkeit, Zeitlosigkeit und Nachhaltigkeit. Sie erleichtern uns die Kaufentscheidung für teure Produkte, da sie hochwertig wirken und auf Grund der Unabhängigkeit von modischen Trends einen hohen Wiederverkaufswert signalisieren.
Mac Life | Wie setzt man diese Erkenntnisse beim modernen Produktdesign ein?
Axel Buether | Die richtige Farbe, bzw. Farbkollektion trägt entscheidend zum Erfolg eines Produkts bei, da wir uns bei der Auswahl stark von emotionalen Faktoren beeinflussen lassen und primär an visuellen Kriterien orientieren. Farben wirken stark auf unsere Gefühle und Instinkte, was biologische Ursachen hat. Wir orientieren uns intuitiv an Farben, identifizieren uns mit Farben, nutzen Farben zur Abschreckung oder Verführung, zur Verhaltenssteuerung und sozialen Interaktion. Dennoch müssen wir nicht wissen, warum wir etwas schön oder hässlich finden. Es reicht, wenn wir spüren, dass uns ein Objekt interessiert, wie stark wir es begehren oder ablehnen und wie wir uns dazu verhalten können. Im modernen Produktdesign wie im Marketing rückt der Erlebniswert immer mehr in den Fokus, weshalb die Farbe oder Farbpalette von Produkten, Verpackungen und Werbemitteln sowie die Atmosphäre ihrer Präsentation ein zentraler Faktor für den Erfolg sind.
Mac Life | Die ersten „Personal“- oder „Home-Computer“ schienen keinen großen Wert auf Farbe als prägendes Element ihrer Gestaltung zu legen – zumeist hüllten sie sich in Weiß oder Beige. Ein Abbild des rein funktionellen Anspruchs der frühen IT-Hardware?
Axel Buether | Diese Gegenstände waren in der Anfangsphase noch rein technischer Natur und wurden daher meist in Racks integriert oder unter Tischen versteckt. In das Produktdesign, die Form– und Farbgestaltung wurde bei der frühen IT-Hardware ebenso wenig investiert wie in die Entwicklung intuitiv bedienbarer Benutzeroberflächen. Die Perspektive des Nutzers spielte eine untergeordnete Rolle, da viele Produkte konkurrenzlos waren. Design wird erst zum ökonomischen Faktor, wenn eine Produktvielfalt da ist und das Geschäft vom Wettbewerb geprägt wird. Hier wird Farbe zum entscheidenden Marketingfaktor für die Markenbildung (Branding) und die Schaffung eines Erlebniswertes, der Emotionalität, Identifikation und Begehren beim Kunden erzeugt.
Mac Life | Wann änderte sich die Herangehensweise an die Gestaltung von Computern und Peripherie?
Axel Buether | Dafür sind zwei einschneidende Veränderungen im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine verantwortlich. Mit der Entwicklung und Verbreitung der „Personal Computer“ begann die Personifizierung der Informationstechnik, die über mehrere Stationen bis zum aktuellen Smartphone führt, das die Identität der Nutzer prägt. Farbe und Form bestimmen nicht nur den Charakter des Designobjekts auf den Schreibtischen der Wohnungen und Büros, sondern vielmehr noch die virtuelle Identität der Individuen auf den grafischen Interfaces unzähliger Anwender im World Wide Web. Ausdruck dieser Wandlung war das buntfarbige Erscheinungsbild der ersten 1998 eingeführten iMac-Generation, deren semitransluzente Gehäuse mit fantasieanregenden Farbnamen wie „Bondi Blue, Blueberry, Grape, Lime, Strawberry und Tangerine“ bezeichnet wurden. Verantwortlich für die stimmige Balance zwischen der innovativen Technik und dem avantgardistischen Erscheinungsbild des iMac war der Produktdesigner Jonathan Eve, dessen Haltung den Anspruch und Erfolg der Marke „Apple“ repräsentiert. Farbe wird von ihm nicht als modisches Attribut betrachtet, sondern als immanenter Bestandteil des Gesamtprodukts, bei dem alles einem Zweck dient. Hieraus erklärt sich auch der Wandel der Produktfarbigkeit, an der sich die Erfolgsgeschichte vom selbstbewussten Underdog zur etablierten Premiummarke ablesen lässt.
Die Revolution in Funktion und Erscheinungsbild von Computern begann bereits mit dem 1983 eingeführten PC „Apple Lisa“, der mit einem grafischen „Schreibtisch“ und einer objekthaften „Maus“ erstmals eine visuell-haptische Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine angeboten hat. In unserer Wahrnehmung kommt es zu einer Verschmelzung von Realität und Fiktion, da wir uns mit Hilfe von Augen und Hand in den fiktiven Raum des Programms hineinbewegen können, um uns darin zu orientieren und gezielte Handlungen auszuführen. Die Farbgestaltung der Programmoberflächen erfolgt heute weitgehend durch professionelle Designer, die damit klare inhaltliche Anforderungen umsetzen und zugleich ästhetische Werte wie eine Corporate Identity schaffen. Durch Personalisierungen des Erscheinungsbildes von Desktops, Websiten und den Profilen sozialer Netzwerke schaffen und gestalten sich viele Anwender heute ihre eigenen virtuellen Lebensräume, deren Inhalt und Ästhetik Identifikation und Identifizierung ermöglicht. Die Farbpräferenzen von Individuen zeigen sich heute nicht mehr nur an der Individualisierung von Kleidung, Gebrauchsobjekten und Aufenthaltsräumen, sondern gleichermaßen auch an der Farbgestaltung ihrer digitalen Lebenswelt. Diese Erkenntnis bestimmt den modernen Design-Thinking-Prozess, in der das Produktmarketing und Produktdesign integraler Bestandteil einer kundenorientierten Erlebniswelt ist.
Mac Life | Apple trieb es von Anfang an recht bunt. Das erste Logo strahlte in den Farben des Regenbogens. Heute ist der Apfel einfarbig. Welcher Entwurf des Apple-Logos spricht Sie persönlich mehr an – und würde Apple heute tatsächlich weniger seriös erscheinen, wenn man das Original beibehalten hätte?
Axel Buether | Von 1977 bis 1998 nutzte Apple das von Rob Janoff designte „rainbow apple“ Logo, in dem sich zwei ikonographische Aussagen verbinden. Der angebissene Apfel symbolisiert seit den Mythen um die Vertreibung aus dem Paradies unser Streben nach Wissen. Das Spektrum der Regenbogenfarben hingegen verweist auf die revolutionäre vollfarbige grafische Benutzeroberfläche, wodurch das „User Centered Design“ zur Unternehmensphilosophie erhoben wurde. Das trendige Logo brachte einen modernen, offenen und humanistischen Anspruch zum Ausdruck und war an Kunden adressiert, die ihren Apple-Computer als Möglichkeit zur Erweiterung ihrer kreativen Freiheit und Ausdruck eines positiven fortschrittsorientierten Lebensgefühls wahrgenommen haben. Mit dem kommerziellen Erfolg des Power Macintosh änderte sich das Erscheinungsbild aller Produkte. Das neue minimalistische Design von Jonathan Eve folgt dem Stil des deutschen Industriedesigners Dieter Rams und wurde fester Bestandteil der Markenidentität, was weitergehende Experimente mit der Farb– und Formensprache bis heute verhindert. Die Entfärbung des Apple-Logos steht ebenso für diesen Kurswechsel wie die Reduktion der Produktbezeichnung auf Power Mac oder die Aufwertung des Gehäuses durch langlebige Materialien mit hochwertigen Oberflächen. Die fortan schwarze, weiße, graue oder durchscheinende Gestalt des angebissenen Apfels bringt fortan die Botschaft einer hochwertigen globalen Premiummarke zum Ausdruck, die von kurzlebigen Moden und Trends unabhängig agieren will. Die Farben des Regenbogens standen für ein Startup, dass mich wie viele Apple-Fans weltweit durch seine technischen und ästhetischen Innovationen lange Zeit begeistert und über die zahllosen Probleme der Anfangszeit hinweggetröstet hat. Diesen jugendlich aufmüpfigen Charme hat Apple mit der Konsolidierung der Marke verloren, weshalb der „rainbow apple“ auch nicht mehr zur aktuellen Produktpalette passt.
Mac Life | Der erste Macintosh-Würfel war ein ziemlicher Bruch mit der damaligen optischen Erwartungshaltung an einen Computer. Frühe Studien des damaligen Apple-Designers Hartmut Esslingers sahen vor, den „Würfel“ in verschiedenen Farben anzubieten. Wäre so ein Vorstoß damals zu früh gewesen?
Axel Buether | Ein Bruch mit der Erwartungshaltung der Nutzer darf nicht allein auf der formalen Ebene erfolgen, also in der Farb– und Formensprache des Produkts, da er sonst unglaubwürdig wirkt. Andererseits müssen Revolutionen auf der inhaltlich-funktionalen Ebene auch Konsequenzen auf das formale Erscheinungsbild haben. Schauen Sie die ersten Automobile an, die noch den Kutschen nachempfunden waren. Die Revolution kam mit dem enormen Veränderungsdruck von Geschwindigkeit, Beschleunigung, Leistung, Ladekapazität und Reichweite an Material, Konstruktion, Sicherheit und Nutzerverhalten. In der Designgeschichte gibt es immer Vorreiter, die das Erscheinungsbild neuer Technologien entscheidend prägen und folgerichtig ihren Weg ins Museum finden. Obgleich ihm kein kommerzieller Erfolg und keine lange Vertriebsdauer beschieden war, nimmt der G4 Cube einen festen Platz im New Yorker Museum of Modern Art ein. Esslingers Farbstudien waren ebenso wichtig wie unzählige andere Produktstudien, von denen einige direkt in die Produktion übertragen wurden, während andere noch reifen mussten, bis ihre Zeit gekommen war. Über den richtigen Zeitpunkt technischer und ästhetischer Innovationen entscheidet nicht der Designer, sondern der CEO. Die Rückkehr von Steve Jobs zu Apple ist mit der Markeinführung des iMac verbunden, einem weltweit wahrnehmbaren Schlag gegen die Konkurrenz, für den die seinerzeit spektakuläre Farbpalette willkommen war.
Mac Life | Esslinger sagte rückblickend in einem Mac-Life-Interview: „Bei Apple waren damals relativ inkompetente Leute am Werk. Ihre eigenen Entwürfe waren olivfarbene Klötze. Kein Wunder, dass der Mythos um den Mac erst später entstand – die ersten Modelle waren viel zu wenig menschlich. Die Leute haben schon ein Gefühl für Design.“ Würden Sie ihm beim letzten Satz zustimmen?
Axel Buether | Wir wissen heute, dass Esslinger damit Recht hatte und was er damit meint. Die ersten Apple Produkte wirken nicht sehr stark auf unsere Gefühle, sie provozieren keine emotionalen Reaktionen wie Leidenschaft, Neugier, Lust und wecken keine Begierden. Sie vermitteln uns auch nicht das Gefühl, ein völlig neues und besonders innovatives Produkt zu erwerben. Das gilt natürlich nicht für eingeschworene Apple-Fans oder Liebhaber der Designgeschichte, deren Wahrnehmung nach anderen Begriffen wie „Fetisch“ oder „Meilenstein“ gemessen werden muss. Der Erlebnisfaktor bildet heute einen festen Bestandteil im modernen Produktdesign. Die emotionalen Reaktionen von Menschen auf das Erscheinungsbild von Produkten lassen sich immer auf rationale Ursachen zurückführen, die für sie von erheblicher Bedeutung sind. Der Besitz eines begehrten Designproduktes kann Konsequenzen für den sozialen Status in einer Gruppe haben, die wir messen und beschreiben können. Die Benutzung eines technischen Produktes verändert sich mit der Zugänglichkeit und intuitiven Bedienbarkeit der Funktionen.
Mac Life | Nach Steve Jobs Weggang Mitte der Achtziger Jahre glich sich auch der Macintosh mehr und mehr der PC-Konkurrenz an: Beige und kastenförmig waren die Rechner fortan. Steve Jobs setzte hingegen mit seiner neuen Firma NeXT auf die Farbe Schwarz. Vermuten Sie eine bewusste Abgrenzung vom neuen Feind? So eine Art Referenz an die „dunkle Seite der Macht?“
Axel Buether | Ich denke, Steve Jobs wollte nach dem für ihn enttäuschenden Abgang einen vollständigen Neuanfang, also nichts, was seine Ideen mit den alten Produkten in Zusammenhang bringt oder gar als Kopien erscheinen lässt. Die NEXT-Workstation war ihrer Konkurrenz nicht nur technisch überlegen, sondern sollte diesen Anspruch auch durch ihr Design kommunizieren. Was passt da besser als Schwarz, mit der wir ein Höchstmaß an Reduktion, Distanz und Coolness, aber auch Gefühle wie Pathos und Anarchie zum Ausdruck bringen. Die Befürchtungen des neuen CEO Sculley von Apple vor dem Versuch einer feindlichen Übernahme hat dieses Erscheinungsbild sicher nicht gemindert. Hinter der dunklen Maske schlummerten genau die Ideen und Kerntechnologien, welche Apple nach der Rückkehr von Jobs zu einem der weltweit größten Unternehmen machten. Die „dunkle Seite der Macht“ diente am Ende der Rettung des Unternehmens, wenn wir bei dieser Metapher bleiben wollen.
Mac Life | Mit Steves Rückkehr begann dann das bunte Zeitalter bei Apple. Der erste iMac war in den verschiedensten Farben erhältlich. Als junger Farbforscher muss das doch eine ungemein interessante Zeit für Sie gewesen sein, oder?
Axel Buether | Ich habe fast alle Produkte von Apple gleich nach ihrer Markteinführung erworben, um sie im Dauerbetrieb rund um die Uhr für die Entwicklung von Architektur– und Designprojekten aller Art zu nutzen. Aus dieser angewandten Form der Forschung entwickelte sich mein wissenschaftlicher Zugang zu den Wirkungen von Architektur und Design auf unser Erleben und Verhalten. Farben bilden das größte Kommunikationssystem der Erde. Jede Farbe der Natur erfüllt einen biologischen Zweck, hat einen überlebenswichtigen Nutzen. Wer die evolutionäre Dimension der Farbe einmal verstanden hat, kann davon nicht loskommen. Unser gesamter Kulturraum ist farbig gestaltet. Jede Frage nach dem Nutzen einer Farbe, führt unmittelbar zu einer inhaltlichen Bedeutung, was Sie an meinen Antworten erkennen können.
Mac Life | Warum verzichtet Apple seitdem eigentlich auf schreiende Farben?
Axel Buether | Die Farben der Apple-Produkte erzählen Geschichten und gehören heute zur Designgeschichte. Wir können die Aufbruchsstimmung nach Steves Rückkehr spüren, die Phasen von Aufstieg und Konsolidierung oder ganz aktuell die Angst des Erfolgreichen vor großen Veränderungen und gewagten Experimenten. Die dezenten Wechsel in der Farbpalette wie die Aufwertung von Grau zu Space Grau oder von Schwarz zu Diamantschwarz sprechen eine klare Sprache. Apple bedient das Luxussegment heute zusätzlich mit elitären Farbtönen wie Gold oder Roségold, mit dem auch Schmuckhersteller wie Christ ihre Produkte kennzeichnen. Hier bleibt noch viel Spielraum, was uns die Premiummarken der Automobilindustrie jedes Jahr vor Augen führen. Mercedes bietet derzeit hochwertige Metallicfarben wie Diamantweiß, Obsidianschwarz, Selenitgrau, Iridiumsilber, Hyazinthrot, Cavansitblau, Kallaitgrün oder Citrinbraun an. Ist das die Zukunft von Apple? Die zukünftige Entwicklung der Apple-Farben ist eng mit der inhaltlich-funktionalen Weiterentwicklung der Produktpalette verknüpft, weshalb ich gespannt bin, ob sich hier noch einmal eine Revolution abzeichnet. An den Farben werden wir sie zuerst erkennen, daran besteht für mich kein Zweifel.
Weblinks
- Mac Life zum Magazin
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- Axel Buether zur Homepage