Goethes Farbenlehre im Lichte neuerer Untersuchungen aus Physik, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie.
Vortrag Farbkonferenz am Philosophicum in Basel, 29. – 30. September.
Redner: Prof. Dr. Axel Buether
Bildhauer und Architekt, Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich Design und Kunst, Didaktik der Visuellen Kommunikation
30.09.2017
Dauer: 33:03 min
Die Wirkung der Farben
Unser Gedächtnis legt fest, was uns eine Farbe bedeutet und wie Farben auf unsere Gedanken und Gefühle wirken. Farben bestimmen das Erlebnis von Selbst und Umwelt. Sie beeinflussen unser Verhalten und steuern unsere Handlungen, obwohl wir die Ursache für diese „Macht der Farben“ nur selten erkennen. Wir können sie spüren, wenn wir „unappetiliche Farben“ essen, „hässliche Farben“ am Körper tragen oder in „geschmacklosen Farben“ leben sollen. Jeder Mensch ist ein Farbexperte, da wir alle seit unserer Geburt die Wirkungen der Farben spüren und wahrnehmen, sobald wir mit der anschaulich sichtbaren Umwelt interagieren. Das Farbgedächtnis bildet einen wichtigen Teil der Lebenserfahrung jedes Menschen und eine zuverlässige Basis für unser Handeln. Gerade deshalb reagieren wir besonders enttäuscht, wenn etwas nicht so ist oder sich so verhält, wie es die Farbe verspricht. Wir mögen nicht, wenn uns schöne Farben nicht kleiden, wenn uns leckere Farben nicht schmecken oder wir uns in geschmackvollen Farben nicht wohl fühlen. Wir reagieren verärgert, wenn Farben unsere Aufmerksamkeit beanspruchen und uns dennoch nichts zu geben oder mitzuteilen haben. Daher ist es wichtig, dass sich Farbgestalter nicht nur mit den Wirkungen der Farben auf den Menschen auseinandersetzen, sondern auch mit deren Ursachen. Die finden sich in den Lebenserfahrungen und Lebensumständen der Person oder Zielgruppe, die jeder erfolgreichen Farbentscheidung zu Grunde gelegt werden müssen. Erfolgreiche Farbgestaltung ist angewandte Farbpsychologie.
Farbheimat und Farbpräferenzen
Jeder Mensch bildet im Verlauf seines Lebens individuelle Farbpräferenzen aus, die zum kleinen Teil angeboren sind, zum großen Teil jedoch auf lebensweltliche Erfahrungen zurückgehen. Menschen integrieren sich in die Farbwelt ihrer Eltern, Bezugspersonen und Idole. Durch das Zusammenwirken aller Sinne lernen wir Funktion und Bedeutung aller Farben unseres Lebensraums kennen. Naturerscheinungen wie Meere, Flüsse, Wüsten, Wälder, Sümpfe, Ebenen und Berge werden mit allen Sinnen erfahren und sind später in jedem Farbereignis präsent. Die Farbheimat jedes Menschen ist stark von regionalen Faktoren geprägt, den spezifischen Farben von Natur, Licht und Atmosphäre. Alle Umweltfaktoren, wie Klima, Böden, Pflanzen und Tiere, sind in der Farbigkeit des Naturraums wahrnehmbar. In einem urbanen Umfeld hingegen dominieren Präsenz und Bedeutung kultureller Artefakte und ästhetischer Praktiken. Die erfahrenen Bedeutungen und Sinnzusammenhänge, die uns Farben im Wahrnehmungsprozess vermitteln, bestimmen die Orientierung, das Verhalten und die Handlungen in unserer Lebensumwelt. Als Sinnesmedien unserer Wahrnehmung und Vorstellung wirken Farben auf Gedanken und Gefühle. Sie begründen den Formenreichtum ästhetischer Gestaltung und prägen das Erscheinungsbild des gesamten Kulturraums. Farben wirken auf Menschen, da sie den Stoff unserer Erinnerung bilden.
Lieblingsfarben
Die Frage nach ihrer Lieblingsfarbe können die wenigsten Menschen klar beantworten, da die eigenen Farbpräferenzen in der Regel nicht sprachlich reflektiert werden. Bekommt man dennoch eine Antwort, steht diese oft in Widerspruch zum Gebrauch dieser vorgeblichen Lieblingsfarbe, die tatsächlich zumeist um ihrer Symbolwirkung willen genannt wird. Menschen nennen in Umfragen am häufisten Blau, da Symbolbedeutungen wie Offenheit und Wahrhaftigkeit allgemein geschätzt werden. Sie nennen am wenigsten Braun und Schwarz, da sie nicht spießig und konservativ wirken oder mit der Symbolik des Faschismus in Verbindung gebracht werden möchten. Unsere Lieblingsfarben zeigen sich eindeutig am Gebrauchszweck für die Gestaltung der eigenen Persönlichkeit und die Verwendung im Prozess der visuellen Kommunikation mit der Gesellschaft. Farbpräferenzen sind beobachtbar und eindeutig bestimmbar an der Kleidung, den Gebrauchsgegenständen sowie den Wohn- und Arbeitsräumen von Individuen. Sie werden sichtbar am Erleben und Verhalten, das mit dem Gerbrauch der frei gewählten Farbpalette wechselt. Unsere Lieblingsfarben zeigen sich an der Häufigkeit ihres Gebrauchs. Wir setzen das Repertoir unserer Farben gezielt ein, um Wirkungen auf das Erleben und Verhalten anderer Menschen zu erzielen. Dazu nutzen wir nicht nur unsere Lieblingsfarbe, sondern wählen aus der Palette jeweils genau die Farbe aus, mit der wir die gewünschte Wirkung am effektivsten erzielen können. Intuitiv, also ohne bewusste Überlegung, wählen die meisten Menschen ihre Kleidungsfarben passend zum Gebrauchszweck aus.
Farbpsychologie
Die Ergebnisse unserer Untersuchung sollen helfen zu verstehen, warum wir das tun und welchen Einfluss Farben tatsächlich auf das Erleben und Verhalten von Menschen haben. Die erfolgreiche Anwendung dieser Erkenntnisse muss vor dem Hintergrund individueller und gruppenspezifischer Erfahrungswelten sowie dem Kontext der jeweiligen Wahrnehmungssituation erfolgen. Farbpsychologie dient dem Verständnis der Wirkungen von Farben auf das Erleben und Verhalten von Menschen. Aus dem Verständnis von Farbwirkungen lassen sich Konsequenzen für den Gestaltungs- und Kommunikationsprozess ableiten. Angewandte Farbpsychologie fördert die Funktionalität von Gestaltung und die Wirksamkeit von Kommunikation.
Wissenschaftliches Symposium
«Ich habe nicht gebaut, aber gesäet habe ich»
29. September 2017 09:00–30. September 2017 13:00 Wissenschaftliches Symposium. Goethes Farbenlehre im Lichte neuerer Untersuchungen aus Physik, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie.
Programmübersicht
Freitag, 29. September
- Prof. Dr. Johannes Grebe-Ellis: Einführung „Ich habe nicht gebaut, aber gesäet habe ich“
- Dr. Matthias Rang: Neue experimentelle Ergebnisse und ihre Beschreibung – ein Versuch, ontologische Aussagen der Optik des 19. Jahrhunderts aufzuweichen
- PD Dr. Timm Lampert: Newtons experimentelle Beweise
- Johannes Kühl: „ein Muster…, wie man physikalische Forschung behandeln soll…“ – Zum Aufbau der Goetheschen Farbenlehre
- Ingo Nussbaumer: Schnittstellen und Brüche. Über einige Prinzipien von Kunst und Wissenschaft
- Prof. Dr. Olaf Müller: Symmetrien und andere Schönheiten in der Optik
- Prof. Dr. Gunnar Hindrichs: Heisenbergs Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre
- Prof. Dr. Friedrich Steinle: Goethe als Farbenforscher im Kontext seiner Zeit: ein neuer Blick
Samstag, 30. September
- Dr. Pehr Sällström: On the compatibility of Goethe’s colour theory with that of Newton
- Prof. Dr. Dr. Brigitte Falkenburg: Grenzen der Farbsymmetrie
- Prof. Dr. Axel Buether: Die Wirkungen der Farben auf unser Erleben und Verhalten: Von Goethes Farbenlehre zur Farbpsychologie der Gegenwart
Veranstalter
Philosophicum im Ackermannshof, Stefan Brotbeck und Renatus Ziegler
in Kooperation mit
Johannes Grebe-Ellis,
Matthias Rang
und dem Förderverein Experiment FARBE, Basel
St. Johanns-Vorstadt 19–21,
CH-4056 Basel
Telefon: +41 (0)61 500 09 30
www.philosophicum.ch
Redner
Prof. Dr. Axel Buether – Homepage
Bergische Universität Wuppertal