Carolin Libuda
Masterthesis Wintersemester 2016/2017
HAWK Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen
Fakultät Gestaltung
Ist Tapete heute noch aktuell und wie kann sie eine gestaltungsaffine Personengruppe
ansprechen?
Innerhalb dieser Mastherarbeit wurde eine von der Architektur- und Designgesschichte inspirierte Tapetenkollektion für eine gestaltungsaffine Zielgruppe entwickelt. Die Muster der entstandenen Kollektion >>TACTILE lines & dots<< sind dabei zwar mit den einfachsten gestalterischen Mitteln, Punkt und Line, zusammengesetzt, aber erzeugen so eine auf das Wesentliche reduzierte Formen-/ Bildsprache. Dabei unterscheiden sich die Entwürfe in ihrer Textur. Durch ihre reduzierte Erscheinung werden sie aber wieder miteinander verbunden. Die architekturbezogenen Muster sind haptisch filigran ausgestaltet, wodurch die Kollektion durch ihre feinen taktilen Erlebnisse begeistert. Insgesamt wird der Zielgruppe eine Möglichkeit an die Hand gegeben, wie man Tapete im architekturbezogenen Kontext verwenden könnte und wie ein geschichtlich ergründetes Marketingkonzept realisiert und interpretiert werden könnte.
Auszüge aus der Masterthesis
Einleitung:
Für die Ausarbeitung meiner Masterarbeit habe ich mich für das Thema der Tapetengestaltung, mit Fokus auf die Kollektionsentwicklung und Farbcodierung, entschieden, da dieses Segment für mich zwar neu, aber sehr interessant ist und mir ein neues Gestaltungsmedium bietet, das meine beiden ursprünglichen Fachkompetenzen Innenarchitektur und Farbdesign bestmöglich miteinander verbindet.
Tapeten ermöglichen es einem schneller eine andere Atmosphäre im Raum zu erzeugen, da sie oft einfacher auszutauschen sind, als Böden und Möbel. Aber wie kann man einer gestaltungsaffinen Zielgruppe dieses Produkt (wieder) interessant machen und ihnen eine neue Möglichkeit an die Hand geben, wie sie Tapeten in ihrer täglichen Arbeit, oder auch privat, anwenden können? Wie kann eine neue Kollektion für dieses Segment einen Mehrwert schaffen?
Dazu habe ich Inspirationen in der Architektur- und Designgeschichte gesucht, die als eine mögliche Begründungsstrategie fungieren könnten.
Wie kann man aber die Farbwelten und Formsprachen stellvertretend für einige Epochen der Architektur- und Designgeschichte aufgreifen, an heutige Sehgewohnheiten adaptieren und in eine zusammenfassende Tapeten- und Farbkollektion übertragen? Und wie kann man Anknüpfungspunkte aus der Geschichte aufgreifen und so erzählen, dass sie eine neue Gestaltung untermauern können und so einen Mehrwert bieten? Dazu habe ich mich bei der theoretischen Auseinandersetzung zuerst damit befasst, die Hintergründe zu klären und zu recherchieren, wie architektonische Entwürfe und Tapeten in der Vergangenheit ausgesehen haben und wie dort der Umgang mit Farben und Formen ausgesehen hat. Danach habe ich betrachtet, wie die gegenwärtige Gestaltung von Architektur und Tapeten aussieht und habe dann geschaut, welche geschichtlich ergründeten Themen sich für eine zukunftsgewandte, neue Tapetenkollektion ableiten lassen und das Interesse einer design- und architekturaffinen Zielgruppe wecken.
Es ist dabei wichtig, welche Anforderungen im Speziellen an Tapeten gestellt werden und wie sich die verschiedenen Farbwelten und Formsprachen der Architektur- und Designgeschichte zu einer einheitlichen Kollektion zusammenfassen lassen.
Mein Ziel war es, mit meiner Arbeit einen Überblick über vergangene und aktuelle Gestaltungsansätze und Themen der Gestaltung im Bereich der Architektur und Wandgestaltung zu geben, und diese Anknüpfungspunkte aus der Geschichte aufzugreifen. Die daraus resultierenden Kriterien und Anforderungen dienen als Grundlage für die Herleitung und Übertragung in den Innenraum, sowie für die gestalterische Umsetzung in eine konkrete Farb- und Tapetenkollektion. In der Praxis erfolgt dann die Konzeption und Gestaltung einer konkreten Tapeten- und Farbkollektion für die Zielgruppe der Architekten, Designer und gestaltungsaffinen Personen in Zusammenarbeit mit der Marke >>Architects Paper<< der A.S. Crèation Tapeten AG.
Meine Idee war es, dass durch die Vielfalt der Designs in der Vergangenheit und Inspiration an den verschiedenen Architekturstilen und Designrichtungen die Formensprache und Farbgestaltung einer neuen Tapetenkollektion noch stärker begründet werden kann, um so für den Endkunden interessanter und verständlicher gestaltet zu werden. Dabei ist es mein Ziel, die Kriterien und Anforderungen der Gestaltungsansätze des Theorieteils aufzugreifen, und auf unsere heutigen Sehgewohnheiten zu übertragen, sodass eine zusammenhängende, vielfältige Kollektion entstehen kann/konnte, die aus einzelnen Serien zusammengesetzt ist, welche sich jeweils stellvertretend mit einer Epoche der Architektur bzw. Designgeschichte beschäftigen.
Zusammenfassende Ergebnisse:
Mein Marketingkonzept bzw. meine Begründungsstrategie war es, Anknüpfungspunkte aus der Geschichte aufzugreifen und sie als Themen für einzelne Serien der Kollektion zu nutzen, die die Kollektion verständlich und ein Stück weit vertraut machen, um damit das Interesse der Zielgruppe wecken zu können. Die Verbindung zur Historie bietet also emotionale Verknüpfungen und begründet meine Formensprache und Farbwahl noch stärker, da sie sich an den Epochen orientiert. Somit ist es keine beliebige, zu konsum- bzw. trendorientierte Herleitung, sondern kann so einen Mehrwert bieten. Rückblicke waren für mich also nötig, um vorausschauen zu können. Da ich auf Grundlage der Analyse der vergangenen und gegenwärtigen Raumgestaltungen dann Meilensteine herausgefiltert habe, um die grundsätzliche Formen- und Farbsprache ableiten zu können.
Aufgebaut ist die Kollektion in vier Einzelserien, – „Morris 2.0“, „Constructive“, „Parametric“ und „Ornamental“ – die sich je an einem Meilenstein orientieren. Zur ersten Serie – Als erste relevante Epoche habe ich bei William Morris und der Arts- and Crafts- Bewegung angesetzt, da hier die eigentliche Geschichte des Tapetendesigns mit den Entwürfen von William Morris beginnt. Er wollte das Handwerk wieder zu etwas Besonderem und Geschätzten erheben und eine eigene Designsprache entwickeln, mit der er sich gegen die Massenproduktion/ Imitation und das Kopieren der Industrie lehnen wollte. Die Muster waren an der Natur orientiert und lebten durch ihre erdigen Farbigkeiten. Sie wirken zwar traditionell, floral, aber warm, natürlich und wohlig. Typisch ist die symmetrische Anordnung bzw. rhythmische Wiederholung der Muster, die auch heute noch so produziert werden. Mein Muster für die Serie „Morris 2.0“ ist ebenfalls sehr floral und natürlich gehalten. Florale Elemente gehören zu den klassischsten Tapetenmotiven und werden hier im Stile Morris´ rhythmisch strukturiert angeordnet. Die grobe Outline des floralen Elementes wird stilisiert dargestellt und die für Morris typischen Punkte und Stricke, die er für seine Schraffuren verwendet, werden zum Teil wieder aufgegriffen. Über verschiedene Glanzgrade und Farbigkeiten rückt die Blüte dabei mal mehr, mal weniger hervor. Farblich bleiben erdige, ungesättigte Farben größtenteils vorhanden.
Bei der zweiten Serie habe ich im Scouting das Bildmaterial zum Konstruktivismus, der Neuen Sachlichkeit und dem Bauhaus genauer betrachtet. Das schmückende Element verliert hier seinen Daseinsgrund und es kommt zu einer umfassenden Erneuerung der Architektur, Raumkunst und des Objektdesigns. Alles wirkt sehr gradlinig, klar und sachlich, sowie funktional. Fine Muster sind Ton-in-Ton gehalten und erinnern an zarte textile und strukturierte Oberflächen. Hier kommen erstmals Uni-Tapeten auf. In der Serie „Constructive“ gibt es neben einem Uni und einem Muster auch einen Streifen. Dabei wird eine gradlinige, sachliche, geometrisch-klare Anmutung beibehalten. Bei dem Muster und dem Streifen gibt es farblich hervorgehobene Verbindungsstreifen, die es ermöglichen beide in Kombination zu tapezieren. Farblich gibt es in dieser Serie Kolorits, die sich an Ton-in-Ton gehaltenen Bauhaustapeten inspirieren und Kolorits, die sich am klassischen architektonischen Plan orientieren (, in dem durch anthrazit der Bestand und durch rot die Änderung bzw. der Neubau gekennzeichnet wird).
Als dritten relevanten Stil sehe ich den Dekonstruktivismus bzw. die parametrische Gestaltung. Hier kam ein ganz neuer Ansatz und eine neue Formensprache in der Architektur auf. Man wollte die Struktur und Konstruktion der Gebäude offenlegen und mit Dynamik neu beleben. Die Parametrische Gestaltung ist die Art der Darstellung in CAD-Programmen, die diese nutzen, um Objekte zu erzeugen. Die Fromensprache ist hier sehr spitz, zackig und eckig und lebe von ihrer Dynamik, den Spitzen und Auskragungen. Die netzartig wachsenden parametrischen Strukturen stehen im Verbund und verzerren sich gegenseitig und erzeugen so Volumen. In der dritten Serie „Parametric“ steht also Technologie, Impulsivität und Verzerrung im Vordergrund. Es bilden sich Höhen und Tiefen, die Muster lebendig wirken lassen. Die Kolorits dieser Serie variieren zwischen einer farblich futuristischen Leichtigkeit und satten, kraftvollen Tönen.
Das Nachtblaue Kolorit soll z.B. die Assoziation zu ursprünglichen Wandbespannungen aus Samt und Brokat wecken und edel und wertig wirken. Die Kombination mit Messing ist dabei gerade sehr angesagt und so auf die heutigen Sehgewohnheiten adaptiert.
Als vierte relevante Epoche habe ich mich mit gegenwärtigen designorientierten Entwürfen (u.a. von „Architects Paper“) und modernen Fassadengestaltungen befasst. Dabei werden ornamentale Strukturen deutlich. Zum Teil sind es Fassadenstrukturen aus denen Ornamente resultieren (gerade in der modernen Architektur), wo mit Öffnungen der Fassade spannende Licht- und Schattenspiele entstehen, die zum Teil auch 3D erlebbar werden. Ornamente gab es aber auch schon in klassischen Fassadengestaltungen z.B. aus Sandstein oder Schiefer in der alten Baukunst. Außerdem gelten Ornamente als eins der klassischsten Tapetenmotive. Oft werden sie mit metallischem Effekten veredelt oder spielen mit verschiedenen Glanzgraden.
Die vierte Serie „Ornamental“ ist mehr am Sortiment von „Architects Paper“ angelehnt und verfügt ebenfalls über Akzente in Gold und Silber und verkörpert trotzdem eine schlichte Eleganz. Die Kolorits wechseln zwischen zurückhaltenden, edlen, klassischen Kombinationen und sehr satten, modernen Kombinationen, was dem Sortiment von „Architects Paper“ entspricht. Die Serien sind thematisch alle eigenständig, so auch farblich nur bedingt untereinander kombinierbar. Die aus der Historie abgeleiteten Farben schaffen Identifikationspunkte zu den Epochen und wurden in Verbindung mit aktuellen Trendfarben auf die heutigen Sehgewohnheiten angepasst.
Wie werden diese Originalmuster jetzt dem Kunden präsentiert? Die Kollektion hat den Titel „Tactile lines & dots“ bekommen, da durch ihn die reduzierte Formen- und Bildsprache, die nur über die wesentlichen Gestaltungselemente Punkte und Linien entsteht, ausgedrückt wird. Diese reduzierte Gestaltung verbindet alle Serien dennoch wieder miteinander. Ihre feine taktile Varianz macht sie allerdings auch eigenständig. Im Tapetenbuch werden durch die von mir gewählte Legung Kombinationsmöglichkeiten aufgezeigt und in Raumbildern die mögliche Anwendung präsentiert.
Zur Person
Carolin Libuda – Kontakt
Weblinks
- A.S. Création Tapeten AG – Webseite
- Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst
Hildesheim/Holzminden/Göttingen – Gestaltung - Prof. Timo Rieke – Homepage
- Dipl.-Des. Martin Brandes – Homepage