Wie erzeuge ich einen Farbverlauf in einem kalligrafierten Text?
Video von Joachim Propfe
Farbdesigner und Schriftkünstler
Dauer: 6:22 min
Vom Zauber der Farbe und ihrer Bedeutung in der Schrift
Schwarz, Braun und Rot – so kann man mit drei Worten die traditionelle Palette der Schriftfarben beschreiben. Von der Spätantike bis zur Renaissance dominierte sie in verschiedenen Abstufungen das Erscheinungsbild von Texten. Hin und wieder bereicherte Blau die Seite und nur äußerst selten kommt in repräsentativen Büchern Gold zum Einsatz. Später, nach der Erfindung des Buchdrucks bleibt das Schwarz die dominierende Farbe – und der Begriff Druckerschwärze kam in die Welt. Nur in Initialen oder in der Buchmalerei fanden alle Farben des Regenbogens Verwendung.
Nicht ohne Grund behaupteten Schwarz und Braun in der Schrift ihre Führungsrolle. Denn ein Text, dessen wesentliche Aufgabe die Übermittlung von Informationen ist, musste gut lesbar sein. Und die Lesbarkeit hängt vom Helligkeitskontrast zwischen Schrift und Hintergrund ab – woran sich nichts ändern wird, da hier eine unumstößliche Gesetzmäßigkeit der Farbwahrnehmung zum Tragen kommt. Außerdem waren Schwarz und Brauntöne relativ leicht verfügbar. Schwarz zum Beispiel besteht häufig aus Kohlenstoff, der in Form von Ruß (aus Pflanzen, Ölen oder auch Knochen) in vorindustriellen Zeiten überall durch Verbrennung preiswert hergestellt werden konnte. Auch die japanischen und chinesischen Tuschen bestanden ursprünglich aus Ruß. Farbige Pigmente dagegen waren etwas Besonderes. Sie waren in den meisten Fällen natürlichen Ursprungs, manchmal nur in geringen Mengen oder an wenigen Stellen der bekannten Welt vorhanden und mussten daher häufig über weite Strecken herangebracht werden, was sie sehr teuer machte. Doch neben diesem finanziellen Aspekt ist weiter zu bedenken, dass sich nicht jedes Pigment mit einer Feder gut verschreiben ließ. So hat das natürliche, teure und leuchtende Ultramarinblau eine vergleichsweise grobe Kristallstruktur, was es schon als Malfarbe problematisch machte.
Schriftfarben können nicht nach Belieben ausgetauscht werden, da Farben unterschiedliche Eigenhelligkeiten besitzen. Soll ein Blau den gleichen Helligkeitskontrast haben, wie ein pures Gelb, muss es aufgehellt werden.
Als Schriftkünstler und Kalligraf des 21. Jahrhunderts muss man sich mit diesen Dingen jedoch nicht mehr beschäftigen, da sämtliche bunten Farben in sehr guter Qualität und zu einem erschwinglichen Preis als Tinte etc. einfach im Laden zu kaufen sind. Hinzu kommt, dass der Druck und die digitale Technik die Übermittlung von Informationen übernommen haben. Das Handgeschriebene ist seiner dienenden Funktion enthoben, die pure Lesbarkeit tritt zu Gunsten einer größeren künstlerischen und gestalterischen Freiheit in den Hintergrund. Die Farbe kann, neben der freien Gestaltung der Form, eine große Rolle spielen, da sie vielschichtig (im wörtlichen wie übertragenen Sinn) eingesetzt werden kann.
Farben sind emotional, sie erzeugen Stimmungen von Wohlfühlen bis Unbehagen. Das kann man bei Kino- und Fernsehfilmen beobachten, bei denen die Farbe für eine durchgehende Atmosphäre sorgt. Komödien haben häufig eine besonders kitschige, leicht überzogene Farbigkeit, Krimis oder Tragödien bedienen sich gerne eines grünlichen Filters.
Farben haben Symbolcharakter, Grün ist die Hoffnung, Rot ist die Liebe, Blau ist die Ferne (und die Treue), Violett ist in der kirchlichen Tradition die Farbe der Buße. Der Symbolcharakter der Farben lässt sich meist aus grundlegenden Erfahrungen, die der Mensch in seiner Umgebung machen kann ableiten. Beispielsweise verblauen alle Farben umso mehr, je größer die Distanz ist, aus der man sie betrachtet.
Farben habe eine kulturelle Bedeutung, die jedoch höchst unterschiedlich und bisweilen selbst innerhalb eines Kulturkreises widersprüchlich ausfallen können. Neben der Hoffnung kann Grün auch das Böse repräsentieren, zu den Papstfarben gehört außer dem Weiß noch das Gelb, das ebenso mit dem Neid in Verbindung gebracht werden kann.
Farben werden außerdem zu anderen Sinneseindrücken in Beziehung gesetzt: sie sind schwer oder leicht, fern oder nah, hart oder weich, kalt oder warm, laut oder leise… Verknüpft führen diese Bedeutungen der Farben auf das weite Feld der Assoziation, das sich natürlich für die künstlerische Gestaltung von Texten nutzen lässt. Erste Anhaltspunkte dafür finden sich häufig schon beim aufmerksamen Lesen eines Textes. Tauchen z. B. bei Gedichten Bilder aus der Natur auf, dann ist es naheliegend diese Farben in eine Kalligrafie einzubauen oder man greift bei abstrakteren Texten auf die Symbolik von Farben zurück. Eine weitere Möglichkeit wäre, analog zur Gestaltung eines Filmes, die Emotion oder Atmosphäre, die ein Text ausstrahlt, in eine Farbe zu übersetzen, die sich in Varianten durch die gesamte Arbeit ziehen kann. Dabei kommt es jedoch auf Fingerspitzengefühl an, weil Rot ist nicht gleich Rot und Blau nicht gleich Blau ist. Hinter diesen subsumierenden Farbnamen verbergen sich viele verschiedene Nuancen, die jeweils einen eigenen Charakter besitzen. Preußischblau, Ultramarinblau, Indigo und Kobaltblau, die wiederum mit Schwarz, Weiß oder Grau gemischt wundervolle Abstufungen der Ausgangsfarbe ergeben.
Farben gehören für Joachim Propfe zum gestalterischen Handwerkszeug, auch in der Kalligrafie oder im Handlettering. Die Form hat in der Schrift zwar unbestritten einen hohen Stellenwert, doch in der freien, modernen Kalligrafie geht es ja nicht nur darum, sondern auch um die Interpretation eines Inhaltes. Und hier lässt sich manches besser über die Farbe als die Form ausdrücken.
Zur Person
Joachim Propfe studierte Farbdesign an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden (heute Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst). Dort entdeckte er durch Professor Gottfried Pott seine Liebe zur Kalligrafie. Seit dem Abschluss seines Studiums 1994 arbeitet er freiberuflich als Farb-Designer und Schriftkünstler für private und institutionelle Auftraggeber (u.a. Mast Jägermeister SE Wolfenbüttel, Beiersdorf AG Hamburg, Physikalisch Technische Bundesanstalt Braunschweig, Volkswagen Autostadt Wolfsburg, Bistum Münster, Ev.-luth. Landeskirche Braunschweig) in ganz Deutschland. Schwerpunkte seiner Arbeit sind neben der Entwicklung von Farbkonzepten für Außen- und Innenarchitektur die Wandgestaltung mit den Mitteln der Kalligrafie sowie die freie Auseinandersetzung mit den künstlerischen Möglichkeiten dieses Mediums. Außerdem leitet er Seminare zu den Themen Kalligrafie, Farb- und Raumgestaltung. Seine Arbeiten wurden in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht (u. a. Schöner Wohnen, Letter Arts Review) und in zahlreichen Ausstellungen (u. a. in Braunschweig, St. Petersburg, Moskau) gezeigt. Seit 2009 ist er mit einem Werk in der „Berliner Sammlung Kalligrafie“ in der Akademie der Künste, Berlin vertreten.
Publikationen:
- „SchreibKunstRäume“ (Callwey Verlag, München 2005)
- „Kunstraum Kalligrafie“ (Haupt Verlag, Bern 2011)