Der Schöpfer des „I GING der Farben“ und des „HPM-CO- LOR-TEST“, Farbforscher, Architekt und Ehrenmitglied des Deutschen Farbenzentrums e.V., wäre am 10. Februar 2022 neunzig Jahre alt geworden, Anlass, in einem persönlichen Rückblick seines außergewöhnlichen Wirkens zu gedenken.

Hans Peter Maier 1993 in Großbothen/ b. Lpz. (E. Bendin)

Meine erste Begegnung mit Hans Peter Maier (kurz: HPM) verdanke ich der zufälligen Bekanntschaft mit der Marburger Künstlerin Katharina Natalie Eitel (1946-2016). Sie führte Hans Peter Maier und mich in der tagungsbegleitenden Ausstellung zur „Farb-Info 1991“ in Berlin zusammen, da sie viel Übereinstimmen- des in unseren Präsentationen entdeckt zu haben glaubte. Bereits ein Jahr zuvor hatte ich Natalie N. Eitel in Detmold kennengelernt. Für mich als Ostdeutschen bot sich damals die erste Gelegenheit, eine Fachveranstaltung im Westen Deutschlands zu besuchen. Die in jenen Jahren vom Gründer des Deutschen Farbenzentrums Kurt Görsdorf (1919-1993) zumeist im Vorfeld der Jahrestagungen veranstalteten zweitägigen Phänomena-Seminare versprachen erweiternde Anschauung und Austausch. Der Zufall wollte es, dass Katharina und ich am 23. und 24. Oktober 1990 in jenem Seminar in Detmold nicht nur nebeneinander saßen, sondern auch über Begriffe und Inhalte manch heftigen Disput führten.

Dieser Disput zahlte sich offenbar ein Jahr später in Berlin aus. Katharina erschien während der ersten öffentlichen Präsentation meines „Analogiemodells der Farbe (AMC)“ – ein kombinatorisch begründetetes Modell der generativen Helligkeitsstruktur der Farben – in o.g. Ausstellung mit dem triumphierenden Ausruf einer Entdeckerin „Ihr macht doch Beide dasselbe!“ und stellte mich dem etwas älteren, freundlichen Herrn vor, der – in einen langen schwarzen Mantel mit rotem Schal gehüllt – sich mit meiner Präsentation bekannt machte und mir in den Folgejahren zu einem aufgeschlossenen fachlichen Begleiter und Freund werden sollte.

Der ‚Farbenstern‘ des AMC, Bendin 1991 (E. Bendin)

Als wir uns ein Jahr später zum 1. Dresdner Farbenforum im Gästehaus der TU Dresden in Gaussig wiedersahen, überreichte HPM mir ein Taschenbuch, in das er 64 Farbmuster zu den Hexagrammen des I Ging eingeklebt hatte. Dieses Buch eröffnete mir im Zusammenhang mit dem von ihm entworfenen „Unendlichen Rad“ – einer synchronischen Darstellung des genetischen Codes und der binär codierten generativen Struktur der Farben – neue Ebenen analoger Beziehungen.

I Ging (Diederichs 1992) für E.Ben mit Farbmustern von HPM (E. Bendin) 

Auch der 1992 im Ravensburger Verlag herausgegebene HPM-CO- LOR-Test mit dem zugrundeliegenden HPM-COLOR-System, einem erweiterten Farbendreieck mit zwölf ‚Farbstrahlen‘ folgte jener komplexen Struktur. Er sollte der Ermittlung persönlicher Farbenergien und -bedürfnisse dienen als fundamentaler Ansatz für humane Farbgestaltungen.

HPM-COLOR-Test, Ravensburg 1992 (HPM-COLOR/E. Bendin)

Es folgten wechselseitige Besuche in Hachenburg und Dresden, bei denen wir unsere Erfahrungen und Intentionen weiter abglichen. Es war bald klar, dass auch die Kombinatorik des AMC eine grundlegende Entsprechung zur Kombinatorik des I Ging aufweisen musste. Nach erstem Studium des I Ging bestätigte sich dies und ich erweiterte das AMC um jene Dimension.

Eine gemeinsam konzipierte Farbtagung in Großbothen/b. Lpz. im Februar 1994 zu Grundlagen humaner Farbkonzepte (1. Großbo- thener Farbentage mit Unterstützung des Wilhelm-Ostwald-Ar- chivs und der Zeitschrift ‚Die Mappe‘, namentlich durch Klaus Halmburger und Roland Aull) bot die Möglichkeit zur Erprobung des HPM-COLOR-Tests sowie der Vorstellung auch meiner ersten ergänzenden Untersuchung zum AMC.

Da es mir wichtig erschien, nicht nur Farbton-Präferenzen zu ermitteln, sondern auch Dispositionen des persönlichen ‚Farbniveaus‘ (Terminus nach ALLESCH) – d.h. „Kontrastprofile“ der Präferenzen für bestimmte Farbton-, Helligkeits- u. Sättigungsverhältnisse – entwickelte ich ergänzend zum HPM-COLOR-Test einen Color-Dispositions-Test (CDT 1999), der auf entsprechenden Kontrastindizes (KOI 1998) beruhte.

Hans Peter Maier hatte inzwischen ein Seminarzentrum Molino la Mirla im spanischen Arriate/ b. Ronda eingerichtet, wo für September 2002 auch ein Seminar geplant war, zu dem auch ich geladen war, um meine Analysemethode persönlicher Kontrastprofile mithilfe des CDT vorzustellen. Leider blieb es nur beim vorbereitenden Treffen 2001, denn das Seminar mußte aus organisatorischen Gründen später abgesagt werden. Bei diesem mehrtägigen Aufenthalt in Arriate machte ich HPM auch mit meiner Untersuchung der Korrelationen des AMC mit dem I Ging vertraut und einer Zusammenfassung der Wirkungstendenzen der 12 Farbtöne, die ich inzwischen auf der Grundlage des I Ging erstellt hatte. Gewissermaßen als Quersumme der Wirkung aller an der jeweiligen Situation beteiligten Kräfte wurde aus den Bildern der beteiligten Hexagramme eine vorherrschende, gemeinsame Tendenz herausgezogen (vergl. Bendin 2010, S. 86ff).

Porträt Susanne Wied (Wied/Hofer)

Als großen Glücksumstand muß man es bezeichnen, dass sich in jener Zeit die Autorin, Diplompflegepädagogin und Gesundheitswissenschaftlerin Susanne Wied für das Werk von Hans Peter Maier interessierte, zunehmend dafür einsetzte und ihn auch in seinen letzten, durch Krankheit gezeichneten Lebensjahren ermutigt und kongenial schöpferisch begleitet hat. Gemeinsam konnten sie noch ein tragfähiges Konzept zur Marktreife und Verbreitung des HPM- COLOR-Tests entwickelten und die gemeinsame Herausgabe der finalen Arbeit von HPM vorantreiben, das „I GING der Farben“, ein großartiges Farbkartenwerk, bereichert durch ergänzende Texte zu den 64 Hexagrammen im engen Zusamenwirken mit Susanne Wied sowie durch Bildreflexionen des Künstlers Stefan Petryga. Hans Peter Maier verstarb am 24. Mai 2008. Sein „I GING der Farben“ erschien noch im gleichen Jahr und kündet von seinem außerordentlichen Verständnis und unermüdlichen Einsatz nicht nur für das Phänomen Farbe, sondern die damit weitgehend verknüpfte Kultur- und Geistesgeschichte.

Nur Wenige wissen vielleicht, dass Hans Peter Maier in jungen Jahren auch wesentlich dazu beigetragen hat, daß im Ravensburger Verlag seines Vaters Otto Maier in den 60er und 70er Jahren maßgebliche Standardwerke der Fachliteratur zur Farbenlehre herausgegeben wurden und er die Autoren bei der Umsetzung ihrer Vorhaben beraten und unterstützt hat. Zu ihnen zählen Johannes Itten, Alfred Hickethier, Siegfried Rösch und Rupprecht Matthaei. Bei meinem letzten Besuch 2006 in Arriate zeigte HPM mir das handgeschriebene Tagebuch von Johannes Itten zur „Kunst de Farbe“ mit einer persönlichen Widmung an Peter Maier. Auch erzählte er gern von seinen Besuchen beim Mineralogen und Farbforscher Siegfried Rösch (1899-1984) in Wetzlar und dem persönlichen Mit- wirken an der Sonnenuhr-Leidenschaft des Universalgelehrten in dessen Arbeitszimmer (Rösch verdanken wir die postume Harausgabe der Großen Farbenordnung Hickethier).

HPM und E. Ben im Seminarzentrum Molina la Mirla, 2006 (E. Bendin)

HPM übergab mir als Schenkung für die Lehr- u. Forschungssammlung Farbenlehre der TU Dresden ein Exemplar seines „HPM-CO- LOR-Tests“ sowie mehrere Ausgaben von Alfred Hickethiers „Ein- maleins der Farbe“. Auch übergab er mir eine Vorzeichnung seines „Unendlichen Rades“, die ich schließlich für eine Ausstellungstafel zur Ausstellung „color continuo 1810…2010“ an der TU Dresden aufbereiteten konnte. Von Susanne Wied erhielten wir dankenswerterweise postum auch ein Exemplar des ‚I GING der Farben‘ sowie das 999-teilige Register HPM‘s für die Farbmuster nach Hickethier.

Die Archivalien geben den Besuchern unserer Sammlung heute Auskunft über ein außergewöhnliches Werk und die übergreifende Sicht ihres Schöpfers. Hans Peter Maier war nicht nur ein lebens- bejahender, verständnisvoller, gastfreundlicher und warmherziger Kollege, Freund und Weggefährte, sondern ein inspirierender, richtungsweisender Missionar humaner Wertschätzung, Gestaltung und Nutzung der Farbe. Susanne Wied, die Begleiterin seines letzten Wirkens, kennzeichnete im Vorwort des „I GING der Farben“ sein Vermächtnis an uns Nachgeborene durchaus treffend:

„Seine Arbeit lebt weiter mit den Menschen, die sein Leben begleiteten.“

Eckhard Bendin. Dresden 10.02.2022 Kuratoriumsmitglied des Deutschen Farbenzentrums e.V.

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