Beiträge zur Farbenlehre im Mitteldeutschen Raum
Eine Auswahl
Verfasser: Eckhard Bendin
30 Lehrtafeln zu Leben und Werk von Personen der Geschichte. Eine Auswahl aus dem Kompendium an Lehrtafeln zur Geschichte der Farbenlehre im Mitteldeutschen Raum: Bendin, E., Schnittstelle Farbe I – III, Dresden 2003-2014.
JOHANN WOLFGANG von GOETHE (1749 – 1832)
JOHANN WOLFGANG von GOETHE, befasste sich als Naturforscher 100 Jahre nach Isaac NEWTON (1749 -1832)fast über seine gesamte Schaffensperiode mit dem Phänomen Farbe, und obwohl er hoffte, mit der Farbenlehre aus seinem allgemeinen Verständnis der, Sprache der Natur heraus eine „vollkommenere Einheit des … Wissens“ zu erreichen, ging er das Thema zunächst als Künstler an, um „in Absieht auf Kunst“ etwas über die Farben zu gewinnen. Auch mit seinen „Materialien zur Geschichte der Farbenlehre“ hoffte er, eine „Geschichte des menschlichen Geistes im Kleinen“ liefern zu können, wie wir einem Brief 1798 an Wilhelm von Humboldt entnehmen. Im Vorwort zum „Didaktischen Teil“ der Farbenlehre stell1 Goethe deutlich seine übergeordnete Erkenntnis voran.
, … Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges.Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Tathen zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten. Die Farben sind Tathen des Lichts, Tathen und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten … aber wir müssen uns beide (gern. sind Farben und licht) als der ganzen Natur angehörig denken; denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges offenbaren will . … so spricht die Natur hinabwärts zu anderen Sinnen, zu bekannten, verkannten unbekannten Sinnen: so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen .. (hervorh. und erg. durch d. Zitierenden)
Diese Erkenntnis beginnt man erst zunehmend Mitte des 20. Jahrhunderts auch als Wissenschaftskritik an den immer mehr sich verselbständigenden ,exakten‘ Wissenschaften ernster zu nehmen. Mit seiner Farbenlehre, die Goethe selbst als etwas Bleibendes höher schätzt als sein gesamtes dichterischesWerk, schuf er fast seherisch einen phänomenologisch begründeten, exemplarischen Gegenentwurf zu dem heute sogar noch schärfer hervortretenden Dilemma unseres Wissens von der ,Natur der Dinge‘. Die Einsicht in die Unvergleichbarkeit der Ausgangspunkte und Methoden Newtons und Goethes ist inzwischen gewachsen, obwohl es auch heute nicht an missverstandenen Interpretationen in beiden Lagern fehlt. Während Goethe das ,Schauen‘ als phänomenalen Akt des Subjekts in den Mittelpunkt rückt, nimmt Newton das Subjekt ganz aus seiner Betrachtung heraus. Hier treffen zwei Wahrheiten aufeinander, die sich ergänzen. Goethe bietet die unmittelbare Wahrheit des anschaulichenDenkens auf gegen die mittelbare Wahrheit der Rückführung auf mathematische Gesetze durch Newton. Zwischen 1790 und 1823 bringt Goethe etwa 2000 Seiten über licht und Farben zu Papier, von denen die meisten zwischen 1808 und 1810 unter eiern Titel ,Zur Farbenlehre‘ erscheinen. Nach Goethes Auffassung erwächst aus der Polarität von Licht und Finsternis sowie der aus ihrem Wirken entstehenden Trübe die farbige Erscheinung als ,Urphänomen‘. Exemplarisch hierfür sind für ihn vor allem die durch Prismen zu beobachtenden sogen. Kantenspektren (Randfarben), später auch die mit der Polarisationserscheinung in Verbindung stehenden, entoptischen Farben‘.
Er entwickelt daraus eine generative Auffassung von den Farben als mannigfaltige und charakteristische Wesen mit ,sinnlich-sittlicher Wirkung‘. Dementsprechend bildet er auch seine Ordnung der Farben im Kreis. Nach seiner Auffassung der ,Steigerung‘ nimmt das Purpur den höchsten Rang unter den Farben ein. Er ordne1es deshalb oberhalb der beiden -die Basis bildenden – Urfarben Gelb und Blau an, den beiden ,zunächst am Licht‘ bzw. ,an der Finsternis‘.
Im ,Didaktischen Teil‘ ging es Goethe darum, die Naturerscheinung ,Farbe‘ auf ihre Anwendungsmöglichkeiten als Kunstmittel zu untersuchen. Sein eigentliches Problem war die Frage nach der Wirkung der Farbe auf den Menschen, nach der lebendigen Beziehung zwischen dem menschlichen Auge und dem licht. Goethe unterschied ,Physiologische‘, ,Physische‘ und ,Chemische‘ Farben, untersuchte die Wirkung der Farben auf das ,Sinnlich-Sittliche‘ und ging auf die Beziehung der Farbtheorie zur Philosophie, Mathematik, Naturgeschichte, Tonlehre u.a. ein. Die ,Physiologischen Farben‘ stellte Goethe an die Spitze seines Wer1<es, weil sie .das Fundament der Lehre ausmachen“. Hier hatte er erstmalig versucht, schwer zu fassende Erscheinungen des lebendigen Auges zu sammeln und zu ordnen.
Im ,Polemischen Teil‘ ging Goethe zu einem Frontalangriff gegen Newtons Farbentheorie über, mit dem er wenig Verständnis fand. Die auch heute noch anzutreffende Geringschätzung der naturwissenschaftlichen Leistungen Goethes beruht hauptsächlich auf jener unglücklichen Polemik Goethes, Newtons Leistungen herabzuwürdigen. Der historische Teil der Farbenlehre, die ,Materialien zur Geschichte der Farbenlehre‘, wurde als letzter abgeschlossen Diese Geschichte der Farbenlehre ist der großangelegte Entwurf einer allgemeinen Wissenschaftsgeschichte von der ,Urzeit‘ bis zur Gegenwart und wurde von Thomas Mann, ein Gleichnis der Geschichte aller Wissenschaften, den durch die Jahrtausende führenden Roman des europäischen Gedankens· genannt. All das, was zu Goethes Farbenlehre in den 200 Jahren streitbar und schöpferisch reflektiert worden ist, würde eine mehrbändige Anthologie füllen. Hervorzuheben sind aber drei Persönlichkeiten, denen Bewahrung und anschauliche
Aufarbeitung des Goetheschen Werkes besonders zu danken ist: Johann Peter ECKERMANN (1792-1854), Rudolf STEINER (1861-1925) und Rupprecht MATTHAEI (1897-1976). Zudem ist Goethes nachhaltige Anregung auf die bis heute geführte Diskussion über ,Wissenschaft als Kunst‘ von bleibendem Wert. In diesem Zusammenhang sei hier auch an den mit Goethe eng korrespondierenden genialen Physiker Johann Wilhelm RITTER (1776-1810) erinnert, dem wir u.a. die Entdeckung des UV.Strahlung verdanken. Ungebrochen bis heute ist vor allem die Rezeption der Goetheschen Farbenlehre in der nachfolgenden künstlerischen Entwicklung, eingeleitet durch Philipp Otto RUNGE und mannigfaltig fortgeschritten über MONDRIAN, HOLZEL, KANDINSKY oder KLEE bis zur neueren konzeptionellen Malerei.
PHILIPP OTTO RUNGE (1777-1810)
„Ich bin jetzt dabey, ein Schriftehen über das Verhältniß der Farben zu weiß und schwarz herauszugeben. …“ schrieb PHILIPP OTTO RUNGE, Maler und Mitbegründer der deutschen romantischen Kunst, am 27 September1809an seinen Freund Enoch Richter.
Das 1809 verfaßte, 1810 beim Verleger Perthes in Hamburg erschienene Werk ,Farbenkugel‘ war die Frucht jahrelanger theoretischer wie praktischer Beschäftigung des Malers. Die Arbeit an jenem Werk setzte bereits zwischen 1801 und 1803 während seiner Dresdner Zeil in der Entwurfsphase des sinnbildlich gestalteten Zyklus Die Zeiten“ ein mit einer Kritik an der Farbentheorie von MENGS und nahm bald eine naturphilosophische Richtung. Der Hallenser Naturphilosoph Henrik STEFFENS, der Runge zur Veröffentlichung drängte und die Schrift mit einem eigenen Aufsatz über die Bedeutung der Farben in der Natur begleitete, nennt Runges Schrift ein. Muster einer in sich abgeschlossenen Untersuchung, selbst für die Naturwissenschaft.Es verwundert daher nicht, daß die persönliche Begegnung 1804 mit dem gleichermaßen an den natürlichen Phänomenen orientierten und übergreifend denkenden J.W.v. GOETHE in Weimar für die beiden bis dahin unabhängig voneinander an einer Farbenlehre Arbeitenden bestätigend wurde und sich fortan ein förderlicher brieflicher Austausch entwickelte.
Eine Schlüsselrolle im Werk des Malers und Theoretikers Runge spielen die in engem Zusammenhang mit dem Entwurf der Farbenkugel stehenden Entwürfe und farbigen Ausführungen des Werkzyklus ,Die Zeiten‘. 1808 stellt er die farbige Fassung des kleinen ,Morgen‘ fertig, 1809 beendeter seine Arbeit an der Farbenkugel, arbeitet zugleich aber auch an der 2.Fassung, seines allegorischen Bildwerkes, der große ,Morgen‘.
Seine ,Farbenkugel‘ erscheint im Januar 1810. Nur vier Monate später kommt auch Goethes Farbenlehre heraus. Das Jahr, in dem die beiden kongenialsten Schriften der Farbenlehre erscheinen, überlebt Runge infolge seiner Tuberkulose nicht. Sein sinnbildlich haftes Werk aber, im Besonderen seine Farbenkugel nicht nur als eine der ersten uns überkommenen Vorstellungen des räumlichen Zusammenhangs der Farben, sondern auch als Versinnbildlichung des, zyklischen Gedankens, … auf die Globusformel gebracht (J. TRAEGER) – ist wie Goethes Farbenlehre in unser kollektives Gedächtnis eingegangen.
Philipp Otto Runge unterscheidet undurchsichtige von durchsichtigen Farben im Sinne von opaken bzw. transluzenten Körperfarben. Seine Farbenkugel kann nach eigener Auffassung nur die undurchsichtigen repräsentieren. Er vergleicht seine Farbenkugel selbst mit einem Globus, auf dessen Äquator die reinen Farben RGB liegen. Das Innere des Globus wird von Mischfarben ausgefüllt: die Nordhalbkugel enthält alle Mischungen mit Weiß (,Erhellungen/
Schwächungen), die Südhalbkugel alle Mischungen mit Schwarz (,Verdunklungen/Trübungen) Als gemeiner Mittelpunkt liegt im Zentrum das Grau, in dem der ,individuelle Charakter der
Farben aufgelöst ist (,absolute Allgemeinheit/Indifferenz). Der späten Einsicht der Kunstgeschichte, daß die theoretischen Konzepte bahnbrechender Künstler wesentliche Faktoren des schöpferischen wie geschichtlichen Prozesses bilden, ist es schließlich zu danken, daß man das Runge-Bild inzwischen korrigiert hat und ihn heute zu einem der bedeutendsten
deutschen Künstlertheoretiker nach Albrecht DÜRER zählen darf. Die heutige Rezeption der Rungeischen Farbenlehre verdankt insbesondere Joerg TRAEGER und Heinz MATILE grundlegende Aufarbeitungen (1975 bzw. 1977). Es ist aber auch hervorzuheben, dass Wilhelm OSTWAL D 1924 Runges ,Farben-Kugel…‘ in seiner Schriftenreihe ,Die Farbe‘ neu herausgab und als bahnbrechend kommentierte.
ARTHUR SCHOPENHAUER (1788 -1860)
ARTHUR SCHOPENHAUER, .der Begründer der Willensmetaphysik, gehört zu den populärsten deutschen Philosophen. Seine Lehre wirkte über die Grenzen der Philosophie hinaus in der Literatur, Musik und Psychologie ,. Seine Philosophie prägt bis heute die Diskussion über die fundamentalsten Fragen.‘ (Ulflg 2000)
Nicht ohne Grund wählte J. W. v. Goethe 1813 den 25-jährigen, frisch promovierten Dr. Schopenhauer aus, um ihn in seiner Farbenlehre persönlich zu unterweisen. Ihm lag daran, seine Denk- und Forschungsweise auf einen jungen Schüler und Mitarbeiter zu übertragen. Im Frühjahr 1814 verlässt allerdings Schopenhauer Weimar, um nach Dresden zu gehen. Einerseits hinreichend durch Goethe geschult, aber auch angefüllt mit Beobachtungen und Ideen, die von denen Goethes etwas abweichen, trägt er sich mit dem Gedanken, diese in einer eigenen Abhandlung darzulegen Schopenhauer nimmt in Dresden seine Wohnung in der Großen Meißenschen Gasse 35. Die vier Dresdner Jahre bezeichnet er später als die produktivsten seines Lebens:
„Wann … durch welche günstigen Umstände die Stunde herbeigeführt wurde, wo das Gehirn die höchste Spannung hatte; so mochte mein Auge treffen auf welchen Gegenstand es wollte, er redete Offenbarungen zu mir.‘ Das ganze System sei, schreibt er in einem Brief der letzten Jahre gewissermaßen ohne mein Zuthun … strahlenweise wie ein Krystall zu einem Centro konvergierend (zusammen-geschossen), so wie ich es sofort im ersten Band meines Hauptwerkes niedergelegt habe.· (gemeint ist hier sein Hauptwerk ,Die Welt als Wille und Vorstellung‘) (Safranski 1996)
Im Sommer 1815 schickt er auch das inzwischen fertige Manuskript seiner Abhandlung ,Ober das Sehn und die Farben‘ an Goethe in der Hoffnung auf einen Kommentar. Dieser jedoch kann sich nicht dazu entschließen und so kommt es 1816 zur Veröffentlichung der Schrift ohne eine empfehlende Anmerkung Goethes. Schopenhauer wendet sich erst knapp 40Jahre später wieder seiner Lehre ,von der qualitativ geteilten Tätigkeit der Retina‘ zu, indem er sie nur um weniges verbessert und vermehrt neu auflegt (1854).
Schopenhauer geht von der graduellenVerschiedenheit der, intensivenTeilbarkeit der Tätigkeit der Retina aus, von der, vollen Tätigkeit „bis zur ,Untätigkeit‘.
Danach bestimmt er die Zustände:
Volle Tätigkeit Untätigkeit
Licht Halbschatten Finsteniß
Weiß Grau Schwarz
Die besondere Leistung Schopenhauers für die Farbenlehre ist das paarweise Einbeziehen der Komplementärfarben und ihrer spezifischen Helligkeiten. Er unterscheidet die Funktionen der verschiedenen Buntheiten für dieTätigkeit der Retina: Durch Weiß wird ,die volle Tätigkeit der Retina‘ entfaltet, während die bunten Farben bestimmte Bruchteile dieser Tätigkeit hervorrufen. In der komplementärenErgänzung addieren sich dann diese partiellen Tätigkeitsgrade, die den Farbhellengrößen entsprechen, zur vollen Tätigkeit. Nur zwei Farben -Grün und Rot- induzieren einen etwa gleich großen Grad der Tätigkeit, und zwar jede von beiden die halbe!
Für jede Qualität gibt Schopenhauer einen bestimmten Helligkeitsgrad in Bruchteilen an:
„Die wahre Farbentheorie“, so sagt Schopenhauer, „hat es .. , stets mit Farbenpaaren zu tun, …“ die Farbe erscheint immer als Dualität, da sie die qualitative Bipartion der Tätigkeit der Retina ist. Chromatologisch darf man daher gar nicht von einzelnen Farben reden, sondern nur von Farbenpaaren, deren jedes die ganze, in zwei Hälften zerfallende Tätigkeit der Retina enthält. Die Teilungspunkte sind unzählig, und, als durch äußere Ursachen bestimmt, insofern für das Auge zufällig. Sobald aber die eine Hälfte gegeben ist, folgt ihr die andere, als ihr Komplement, notwendig. Angemerkt werden muß hier eine frühere Arbeit des Chemikers Joh. Golt fr. VOIGT (1796 veröffentlicht), in der für die wichtigsten Farben ebenfalls Proportionswerte zu einer konstanten Summe angegeben werden Schopenhauers Theorie hat zu Unrecht eine entsprechende Würdigung bislang nicht gefunden, obwohl er vermutlich als erster erkannte, daß der Schlüssel für jede psychOlogische Farbenordnung in der Einheit und Paargestalt des Komplementären und deren spezifischer Helligkeitsskala liegt. Hierbei sei von Wilhelm OSTWALD und Eckart HEIMENDAHL einmal abgesehen, die seine Leistung ausdrücklich würdigten und seine Vorleistung z.T. in ihre eigenen Theorien einbezogen (z.B. Ostwalds Lehre vom ,Farbenhalb‘). Erwähnt werden soll hier noch Schopenhauers ,Theorie der farbigen Ränder‘, die auf eine Korrektur der Goetheischen nur in demPunkte hinausläuft, dass er denGedanken einer Trägheitsreaktion bei plötzlicher Veränderung ins Zentrum stellt und hier auch die Analogie zur Polarisation stärker betont.
WILHELM OSTWALD (1853 • 1932)
WILHELM OST WALD, Philosoph, Naturwissenschaftler, Wissenschaftstheoretiker und Organisator, Gründer und Herausgeber, Nobelpreisträger für Chemie (1909), hat für die Farbenlehre Außerordentliches geleistet. Neben einer aus der physikalischen Chemie her motivierten Aufarbeitung der Farbkunde gelang ihm auch der grundlegende Ansatz, eine ,Quantitative Farbenlehre‘ mit dem Anspruch der Messung, Systematisierung und Normung der Körperfarben zu schaffen. Ostwald betrachtete ähnlich GOETHE die Farbforschung als seine bedeutendste Leistung. Den meisten heute gebräuchlichen ästhetischen Farbsysteme liegen wesentliche Elemente seiner Systematik zugrunde, wie empfindungsgerechte Stufungen, farbtongleiche Dreiecke oder wertgleiche Farben (z.B. NCS)
Schon lange vor seiner Begegnung mit dem amerikanischen Maler und Kunstpädagogen Albert Henry MUNSELL (1858-1918) als erster Austauschprofessor 1905 in den USA, beschäftigte sich Ostwald mit Problemen der Farbenlehre. Aber erst nach Beendigung seiner Tätigkeit als Ordinarius für physikal. Chemie an der Leipziger Universität wandte er sich ab 1914 auf seinem Landsitz ,Energie‘ in Großbothen b. Leipzig als freier Forscher zunehmend der theoretisch- experimentellenBegründung und praktischen Umsetzung der neuen Farbenlehre zu. Dabei war er im Interesse publizistischer wie didaktischer und praktischer Verbreitung
seiner Lehre außerordentlich aktiv, was sich in zahlreichen Schriften, Vorträgen und Initiativen ausdrückt. Die Jahre unmittelbar nach 1914 waren auch eine Zeit intensiven Zusammenwirkens mit dem Chemiker Paul KRAIS (1866-1939) am Vorhaben eines internationalen Farbenatlas. 1920 gründete Ostwald in Dresden die ,Werkstelle für Farbkunde‘ mit Filialen in Chemnitz und Meißen. Großen Anteil an der Arbeit jener Werkstellen hallen Eugen RISTENPART(1873-1953) in Chemnitz und Paul Krais in Dresden. Ostwald gab neben einer Vielzahl theoretischer Abhandlungen umfangreiche Farbkartenwerke in verschiedensten Ausgaben und Auflagen heraus. Den Kern bilden hierbei einmal sein unvollendet gebliebenes
Schriftwerk ,Die Farbenlehre in fünf Büchern‘, zum anderen der ,Farb Normenatlas‘ sowie die ,Farbenorgel‘ (aus Pasten und Pulvern).
Die ,Farbenlehre in fünf Büchern‘ entwirft Ostwald gemäß seiner Auffassung der Farbenlehre als synthetische Wissenschaft, welche in sich Resultate der Ordnungslehre (Mathetik), Physik, Chemie, Physiologie, Psychologie und Ästhetik vereint. Zu seinen Lebzeiten erscheinen davon drei Bücher, das vierte wurde 1939 als nachgelassene Handschrift herausgegeben. Das Fünfte, die Psychologische Farbenlehre, liegt in Fragmenten ebenfalls vor, wurde bislang aber noch nicht veröffentlicht. Bereits früh bringt Ostwald seine Interpretation der spektralen Zusammensetzung der sogenannten ,Vollfarben‘ {Körperfarben maximaler Sättigung) ein, die ,Lehre vom Farbenhalb‘, eine anschauliche Darstellung der Behauptung, daß grundsätzlich zum Zustandekommen einer reinen Körperfarbe … alle Wellenlängen eines Farbenhalbs, also durchschnittlich der größeren Hälfte des ganzen Spektrums, restlos zusammenwirken müsse.'(Ostwald 1916 bzw.Physik.FL 1919). In der ,Mathetischen Farbenlehre ‚(1918) begründet Ostwald seine Farbenordnung. Der auf G. T. FECHNERs Reiz Empfindungsgesetz aufbauende ,logarithmische Farbkörper‘ entspricht der Gestalt eines einfachen Doppelkegels, in dem Ostwald die ,Vollfarben‘ und deren Abkömmlinge systematisch in Stufen um eine
senkrechte Grauachse (Unbuntreihe) zwischen Schwarz und Weiß unterbringt. Farbtongleiche Dreiecke, d.h die zwischen Schwarz, Weiß und einer Vollfarbe gespannten Dreiecksflächen, enthalten die auf der Basis des Fechnerischen Gesetzes empfindungsgemäß gleichabständig gestuften Abkömmlinge der Vollfarbe (sogeri analytische Dreiecke). Diese bilden verschiedene Reihen, wie die, hellklaren‘ und ,dunkelklaren‘ Reihen oder die ,Weißgleichen‘ und ,Schwarzgleichen‘.
Neben der Unbuntreihe sind wertgleiche Farbtonkreise Bestandteile der Ordnung (bestehend entweder aus Vollfarben, hellklaren, dunkelklaren oder getrübten Farben). Ostwalds Kreise gehen von 8 Hauptfarben aus: Gelb, Kress, Rot, Veil, Ublau, Eisblau, Seegrün und Laubgrün. Außerdem strukturiert er die Orte seines Farbkörpers durch Kombination von Buchstaben, wie – pa, ria, la, ia usw. -, um Verwandtschaftsbeziehungen leicht ablesbar zu machen. Jener für eine Normung oder eine darauf fußende Farbharmonik wichtige Ansatz hat sich in jener Form aber praktisch nicht durchsetzen können, obwohl insbesondere mathematisch begabte Künstler (Rudolf WEBER, Hans HINTERREITER oder Jakob WEDER z.B.) mit Ostwalds Systematik gut umgehen konnten und sie als einen Gewinn empfanden. Ostwalds Farbordnung gab allerdings zu seinen Lebzeiten bereits auch Anlaß zu Kritik. Später hat es mehrere Versuche gegeben, bestimmte Mängel der Farbenordnung zu korrigieren. Dies geschah unabhängig von einander durch Aemilius MÜLLER {1901-1989), Marifred RICHTER (1906-1990), Manfred ADAM (1901-1987) und Jakob WEDER (1906-1990). Ostwalds grundsätzliche Leistungen für die Farbenlehre stehen außer Zweifel. Er hat aber seine eigentlich als Hauptstück der Farbenlehre gedachte ,Psychologische Farbenlehre‘ nur in Grundzügen skizzieren können. Sie fußen auf seiner ,Biologischen Energetik‘ sowie auf neuen Erkenntnissen der Physiologie und Psychophysik insbesondere durch Gustav Theodor FECHNER (1801-1887), Ewald HERING (1834-1918) und Georg Elias MULLER (1850-1934). Eine elementare, komplexe und verständliche Darstellung der Psychologie der Farbe, wie Ostwald sie im Auge hatte, steht sowohl in der Farbenlehre als auch in der Biopsychologie bis heute aus. Neben der Farbenlehre veröffentlichte Ostwald auch eine systematische Formenlehre und plante grundlegende Schriften zur Schönheitslehre (Kalik) und Kunstlehre. Dazu sind umfangreiche, bisher nur teilweise editierte Manuskripte erhalten. Ostwalds Ästhetik setzt wie G. T. Fechners ,Vorschule der Ästhetik‘ von unten an, d.h sie begründet sich experimeritell-empirisch.
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