Ein Beitrag aus dem Begleitbuch zur Ausstellung „rot. grün. blau. Experiment in Farbe & Licht“ Ilmenau 2008

ECKHARD BENDIN

„Dich im Unendlichen zu f inden, musst du unterscheiden und dann verbinden.“

J. W. v. GOETHE

Farbe erscheint uns durch ihre Bindung an das Licht und die visuelle Wahrnehmung elementar, allgegenwärtig und mannigfaltig. Sie kann erfreuen und beleben, vermag aber auch, wie ein Mysterium zu faszinieren und uns ganz zu ergreifen. Kaum ein anderer Gegenstand unserer Wissens- und Lebenswelt weist derartige Aktualität und Komplexität auf, in allen Wissensdisziplinen sich widerspiegelnd und brechend. Diesem reichen Vermögen ist geschuldet, dass jenes komplexe Erfahrungsfeld schon lange nicht mehr in nur einer Geistesdisziplin – wie noch vor Jahrhunderten in der Philosophie – erfasst und behandelt werden konnte. So, wie Licht und Far- be mit allen Bereichen des Lebens, der Kultur und Bildung, Technik, Wissenschaft und Kunst verbunden sind, führte auch der Weg der Farbenlehre zunächst über differenzierteste Untersuchungen in vielen Einzeldisziplinen zu einem zunehmend multidisziplinären, kaum noch über- schaubaren Wissensfeld. Um so notwendiger erscheint uns heute eine interdisziplinär verbindende Farbenlehre als moderne Wissenschaft über die Zusammenhänge von Licht und Farbe, zumal auch in der Vergangenheit alle einzeldisziplinären Bestrebungen schnell an Grenzen gestoßen sind und deren Überschreitung herausgefordert haben. Eindrückliches Beispiel hierfür war die stärkere Hinwendung der Philosophie zu den Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert, insbesondere zur Physiologie, die beispielsweise in Leipzig, Zentrum des Mitteldeutschen Raumes, zur Begründung der Psychophysik, der Experimentellen Ästhetik und Experimentellen Psychologie führte. Auch die Wirkungsgeschichte der Goetheschen Farbenlehre legt Zeugnis davon ab, wie notwendig die Zusammenschau wesentlicher Sachverhalte erscheint. Immer wieder haben bedeutende Naturwissenschaftler sich der Farbe zugewandt und dazu positioniert, unter ihnen nicht wenige Nobelpreisträger wie Wilhelm Ostwald, Max Born, Erwin Schrödinger oder Werner Heisenberg, der 1941 in seinem Vortrag über ‚Die Goethesche und Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik’ mit der Einsicht schließt, dass dem Wissenschaftler „nur dort, wo die Wissenschaft an den äußersten Grenzen ihrer bisherigen Forschungsweise Beziehungen zum Leben selbst entdeckt, … ihr Sinn verständlich wird.“ Das Werk jener Gelehrten schätzen wir nicht zuletzt besonders wegen jener Fähigkeit, Grenzen zu erkennen und zu überschreiten, Zusammenhänge neu herzustellen und zu begründen.

Mitteldeutscher Raum – Schmelztiegel der modernen Farbenlehre

Bei einschränkender Betrachtung der deutschen Entwicklungsgeschichte zur Farbenlehre muss man zunächst feststellen, dass es in den letzten 200 Jahren mehrere Zentren der Entwicklung gab, geprägt von geistigen Schulen, die wie heute miteinander in Wettbewerb standen, jeweils ihre Blüte erlebten, sich aber auch wechselseitig befruchteten. Ohne die Bedeutung und den Einfluss vieler traditionsreicher Universitäten zwischen Tübingen und Königsberg, Heidelberg und Berlin für die Geschichte der Farbenlehre in Deutschland zu schmälern – immerhin gingen von ihnen entscheidende Impulse aus; stellvertretend sei hier der überragende Hermann v.

Helmholtz mit seinen Wirkungsstätten Königsberg, Bonn, Heidelberg und Berlin genannt – ist doch aber bemerkenswert, dass der Mitteldeutsche Raum mit seinen geistigen Zentren eine außergewöhnliche Rolle spielte. In einzigartiger räumlich-zeitlicher und inhaltlicher Dichte wur- den hier Auseinandersetzungen zu Fragen der Farbenlehre geführt, intensiv Lösungen gesucht und gefunden. Natur- und Geisteswissenschaftler, Handwerker, Unternehmer, Architekten, Künstler und Pädagogen trugen Wesentliches dazu bei, dass sich der Mitteldeutsche Raum mit fortschreitender Industrialisierung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wie kaum eine andere Region in Europa zu einem Schmelztiegel der modernen Farbenlehre entwickeln konnte.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildeten sich besonders Weimar und Jena zum Zentrum geistiger Netzwerke und Ausgangspunkt eines aufbruchartigen Paradigmenwechsel in Kultur und Wissenschaft heraus. 100 Jahre später erweiterte sich jene Dynamik mit neuen Zielen. Als Antwort auf die Industrialisierung kam es zu naturphilosophischen und expressionistischen Strömungen, u.a. zur Gründung der ‚Brücke’ in Dresden, des Deutschen Werkbundes sowie des Bauhauses in Weimar. Auch Leipzig, Halle/S. und Chemnitz hatten sich insbesondere durch ihren wirtschaftlichen Hintergrund zu bedeutenden Wissenschaftszentren fortentwickelt.

Mit ihnen verbunden sind viele bekannte Persönlichkeiten mit klangvollem Namen auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Farbenlehre. Neben Goethe, Runge und Schopenhauer, den eng mit Jena, Weimar und Dresden verbundenen Protagonisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, gehörten später zu ihnen namhafte Physiker, Chemiker, Physiologen und Psychologen, wie z.B. in Jena Abbè, Schott, Busch, Pulfrich und Buchwald, in Leipzig Fechner, Hering, Wundt, Ostwald, Kirschmann und Rösch, in Chemnitz Stöckhardt und Ristenpart sowie in Dresden Möhlau, Ulbricht, Krone, Luther, Bühler, Krais, Klughardt und Richter. Aber auch die Malermeister Bumann und Prase schrieben im erzgebirgischen Aue mit ihrer beispielhaften Farbtonkarte für Industrie und Handwerk Geschichte, ebenso wie später die Zwickauer Drucktechniker Gerstacker und Hickethier oder der ebenfalls aus Zwickau stammende Farbenpsychologe Frieling. Zu den Namhaften zählen natürlich auch Architekten wie Semper, Schumacher, Meyer-Speer oder Taut, die Brücke-Maler Haeckel, Schmidt-Rottluff und Kirchner sowie die Bauhauspädagogen It- ten, Kandinsky , Klee oder Albers. Nicht zuletzt durch ihre Goethe-Forschung bekannt, gehören auch Steiner und Matthaei zu Denjenigen, die jenem bedeutenden geistigen und wirtschaftlichen Zentrum in Deutschland durch ihr persönliches Wirken Ansehen und besonderen wissenschaftsgeschichtlichen Ruf verliehen. An einige der verdienstvollen Leistungen soll nachfolgend erinnert werden.

Im Goetheschen Wirkungskreis

Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832) betrachtete im Alter seine umfangreichen Beiträge zur Farbenlehre als bedeutendste Lebensleistung. Noch vor Anbruch des 19. Jahrhunderts legte er in Weimar den Grundstein für eine phänomenologisch orientierte Auffassung der Einheit und Mannigfaltigkeit von Licht und Farbe, mit der er sich kritisch gegen eingeengte Natur- und Wissenschaftsauffassungen wandte. Die durch seine ‚Beiträge zur Optik’ (1791/1792) und sein dreiteiliges Hauptwerk ‚Zur Farbenlehre (1808/1810) gesetzten Impulse wirken bis heute unvermindert nach. Goethe stand im Austausch mit allen Wissenschaftsgrößen seiner Zeit, stieß namentlich bei Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831) auf größtes Verständnis und nutzte die Aufgeschlossenheit junger Künstler und Wissenschaftler zur Bekräftigung seiner Lehre. Im engeren Wirkungskreis standen u.a. der Maler und Kunsttheoretiker der anbrechenden Romantik Philipp Otto Runge, der Philosoph Arthur Schopenhauer der Physiker Thomas Johann Seebeck sowie der Physiologe Jan Evangelista Purkinje.

Zwischen Goethe und dem Maler Philipp Otto Runge (1777-1810), der zwischen 1801 u.1804 sich auch zu Studienzwecken in Dresden aufhielt, kam es 1806 zu einer Begegnung in Weimar und nachfolgend zu regem brieflichen Austausch, der von großer Übereinstimmung zeugt. Einen Brief Runges, in dem jener die Grundzüge seiner Farbauffassungen darlegt, läßt Goethe später in seiner Farbenlehre abdrucken. 1810 erscheint auch Runges ‚Farbenkugel’, eine Abhandlung mit der ersten räumlichen Ordnung systematischer Farbmischung, die sich an den Bedürfnissen der Malerei orientiert und die Erscheinungsweisen der Farben sowie die Phänomene der Pigmentmischung berücksichtigt.

Goethe interessierte auch den gerade in Jena promovierten Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860), für seine Farbenlehre. Nach intensiver Farbenlehre-Unterweisung in Weimar verbrachte Schopenhauer von 1814 -18 in Dresden seine schöpferischsten Jahre, in die auch seine Schrift ‚Über das Sehn und die Farben‘ fiel (Leipzig 1816). Sie steht ganz auf dem Boden von Goethes Farbenlehre, begründete aber die eigene fundamentale Erkenntnis Schopenhauers hinsichtlich der ‚partitiv geteilten Tätigkeit der Retina‘ und die Auffassung der Gegenfarbenpaare als duale Einheiten. Er gab dadurch einen wichtigen Denkanstoß für die Sinnesphysiologie.

Ab 1817 widmete sich Goethe intensiv den Phänomenen der ‚entoptischen Farben’, auf die er 1812 durch den bis dahin in Jena wirkenden Physiker Thomas Johann Seebeck (1770- 1831) aufmerksam gemacht wurde. Mit Seebecks Hilfe, der 1818 auch die optische Aktivität (Drehung der Polarisationsebene) von Zuckerlösungen entdeckte, führte Goethe zahlreiche Ex- perimente an Kalkspat und Glimmerblättchen durch.

Der Sinnesphysiologe und Mediziner Jan Evangelista Purkinje (1787-1869) leistete in starker Anlehnung an die Goethesche Farbenlehre mit seinen Arbeiten zwischen 1819 und 1825 grundlegende Beiträge zur Aufklärung der subjektiven Gesichtsphänomene. Auf ihn geht z.B. die Aufklärung der Veränderung der Farbempfindung beim Dämmerungssehen zurück (‚Purkinje-Effekt‘). Purkinje errichtete 1823 in Breslau als erstes seiner Art in Deutschland ein physiologisches Laboratorium.

Durch ihre intensive Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre und entsprechende Nachforschungen in Weimar haben sich später besonders der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner (1861-1925) sowie der Erlanger Physiologe Rupprecht Matthaei (1895-1976) Verdienste erworben. Beide haben Goethess Farbenlehre umfangreich kommentiert neu her- ausgegeben (Goethes Naturwissenschaftliche Schriften / Kürschner 1883-1897 bzw. ‚Goethes Farbenlehre’. 1971). Matthaei verdanken wir neben der Herausgabe auch eines ‚Corpus der Goethezeichnungen’ z.B. die aufschlussreiche Rekonstruktion eines Farbenkreises von Goethe (1932) sowie die Nachstellung seines Versuchs mit Stufengefäßen zur Veranschaulichung der ‚Theorie der trüben Medien’. Hervorzuheben sind auch Matthaeis eigenständige Arbeiten über die Attribute der Farben (1928) sowie seine enzyklopädische Darlegung ‚Farbenphänomenologie’(1933) im Handwörterbuch der Naturwissenschaften.

Aufbruch durch Psychophysik und Experimentelle Psychologie

Von grundlegender Bedeutung für die wissenschaftliche Interpretation des Farberlebens, eben- so für die Vorgänge zu ästhetischen Wertungen erschien die Aufklärung der Sehvorgänge als Aufgabe der Sinnesphysiologie. In deren Entwicklung zeigte sich, dass besonders experimen- telle Methoden Fortschritte brachten und dies nicht möglich war ohne eine enge Verbindung physikalischer, physiologischer und psychologischer Aspekte. In jener Hinsicht bahnbrechende Impulse gingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Leipziger Universität aus. Hier wirkten überragende Gelehrten wie Carus, die Gebrüder Weber, sowie Fechner, Hering und Wundt.

Auf die Theorien des Sehens, des Lichtes und der Farben haben bis heute insbesondere die psychophysischen Maßmethoden des Universalgelehrten Gustav Theodor Fechner (1801- 1887) wesentlichen Einfluss ausgeübt (Elemente der Psychophysik. Leipzig 1860). Fechner stützte sich dabei u. a. auf Vorarbeiten von Ernst Heinrich Weber (1795-1878) und dessen ‚Me- thode des eben merklichen Unterschieds‘. Als ‚Weber – Fechnersches Gesetz‘ bekannt gewor- den ist der mathematische Zusammenhang zwischen Reiz und Empfindung, bei dem die Größe der subjektiven Empfindung in logarithmischer Beziehung zur Reizintensität steht. Auf jener Grundlage baute ein halbes Jahrhundert später der Physikochemiker Wilhelm Ostwald (1853- 1932) seine empfindungsgemäß gleichabständigen ‚Farbtongleichen Dreiecke’ auf. Schon 1838 veröffentlichte Fechner auch einen Aufsatz über die Erzeugung ‚subjektiver Farben’ mit Hilfe kreiselnder Scheiben und beschreibt damit den physiologischen Effekt, den wir heute unter der Bezeichnung ‚Prèvost-Fechner-Benham- Effekt‘ kennen. Der in Leipzig wirkende ‚Vater der Psychophysik‘ begründete zudem auch die experimentelle Ästhetik als eine ‚Ästhetik von unten‘.

Daß Leipzig gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Weltzentrum experimentalpsychologischer Forschungen wurde, ist vor allem dem Philosophen und Physiologen Wilhelm Wundt (1832-1920) zu danken, der 1875 als ehemaliger Helmholtz-Schüler und -Assistent nach Leipzig berufen wurde und dort zunächst ein Privatinstitut für experimentelle Psychologie als welt- weit erstes seiner Art gründete. Wenig später in die Universität eingegliedert wurde es zum Ausgangspunkt jener neuen, erfahrungswissenschaftlich begründeten Disziplin. Wundt hatte seine Erkenntnisse zu den Licht- und Farbwahrnehmungen bereits in seinen ‚Grundzügen der physiologischen Psychologie (1874/75) skizziert. Aus dem Verlauf der Unterschiedsempfindlichkeiten im Farbsystem mit drei niedrigen und zwei hohen Punkten konstruierte er z.B. einen Farbenkreis ‚nach Graden der Unterschiedsempfindlichkeit’. In Abgrenzung zu den Komponententheorien von Young/Helmholtz bzw. Hering, mit denen Wundt kritisch ins Gericht geht, entwirft er auch ein Stufenmodell unter differenzierter Betrachtung der Lichtschwingungsamplituden bei achromatischer und chromatischer Erregung. Es ist bisher leider noch zu wenig gewürdigt worden, dass Wundt mit seiner Stufentheorie bereits vor Erscheinen der Heringschen Arbeiten eine Theorie der Lichtempfindungen entwickelte, die von dessen Hypothesen nur in dem Punkte abweicht, dass sie die farblose Erregung nicht als eine Resultante einander entgegenwirkender Prozesse auffasst, sondern als „einen uniformen photochemischen Vorgang“ in Abhängigkeit von der Lichtstärke (Amplitude).

Ewald Hering (1834-1918), der aus der Nähe von Dresden stammende einstige Schü- ler von E.H. Weber und G.T. Fechner, zählt heute wohl zu den bekanntesten Physiologen und nimmt auch hinsichtlich der Theorie des Farbsehens einen hervorragenden Platz ein. Während seines langjährigen Wirkens in Leipzig in der Tradition der experimentellen Psychologie entwarf er einen phänomenologischen Ansatz zur Erforschung der Physiologie des visuellen Systems (physiologische Optik) im Gegensatz zu den Vertretern einer ‚physikalischen Physiologie‘ (u.a. Helmholtz). Bekannt wurde Hering vor allem durch seine ‚Theorie der Gegenfarben’ (Oppo- nententheorie), die er der ‚Dreikomponententheorie‘ von Young/Helmholtz/ Maxwell entgegen- setzte. Heute gilt als gesichert, dass beide Theorien ihre Relevanz für verschiedene Vorgänge in der Netzhaut haben. Mit Hering verbindet man auch ‚das natürliche System der Farbemp- findung‘, wie er es selbst nannte, in welchem er vier Grundempfindungen (Urfarben) definiert: Rot, Gelb, Blau und Grün. Dieses Schema hat in dem heute weit verbreiteten ‚Natural Colour System (NCS)’ Anwendung gefunden. Besonders die biologische Bedeutung der visuellen Wahr- nehmung beschägftigte Hering im vorgerückten Alter, wodurch er zur ‚Lehre von der relativen Farbenkonstanz der Sehdinge’ geführt wurde.

Besonders erwähnt werden soll hier auch einer der bedeutenden Schüler und Assisten- ten Wundts in Leipzig. Neben Felix Krüger und Oswald Külpe war dies der Experimentator und Psychologe August Kirschmann (1860-1932), der 1890 bereits einen photometrischen Apparat zu psychophysischen Zwecken (‚Kirschmann- Farbenmischer’) entwickelte und dessen Experi- mente und Schriften zwischen 1917 und 1926 zum ‚Umgekehrten Spektrum’ neue Herausfor- derungen an die Physik stellten.

In Leipzig erschien 1922 auch das ‚Handbuch der Psychologie’ des bedeutenden Ge- staltpsychologen Karl Bühler (1879-1963), einst Assistent bei v. Kries und Külpe, gewissermaßen als Ergebnis seiner Dresdner Zeit zwischen 1818 und 1822. Die im Handbuch enthaltene Schrift ‚Die Erscheinungsweisen der Farben‘ stellt u. a. seine Duplizitätsprinzip als Erklärungshintergrund für Konstanzphänomene vor und ist zu den Meilensteinen der Psychologieentwicklung in Deutschland zu zählen. Bühler war auch maßgeblich daran beteiligt, dass Dresden 1922 mit der Gründung eines psychotechnischen Instituts neben Berlin und Darmstadt zu ei- nem frühen Zentrum der Psychotechnik in Deutschland wurde.

Systematik und Normung als Antwort auf industrielle Herausforderungen

Der enorme industrielle Aufschwung noch vor Ende des 19. Jahrhunderts führte in Mitteldeutschland u.a. zur industriellen Konzentration der dort traditionell ansässigen Textilverarbeitung und brachte besondere Herausforderungen für die Farbenchemie und die Färbereitechnik, aber auch für Drucktechniken mit sich. Die Entwicklung synthetischer Farbstoffe und deren industrielle Verwertung erforderte entsprechende Bemusterungen sowie Hilfestellungen zur Qualitätssicherung. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade in diesem Raum Entwicklungen zur Systematik und Normung angestrengt wurden.

Das 1895 vom Farbenchemiker Richard Möhlau (1857-1940) in Dresden begründete Laboratorium für Farbenchemie und Färbereitechnik war das erste seiner Art an einer deutschen Hochschule und verdankt seine Entstehung dem Bedürfnis, die mangelnde Verfügbarkeit und Nachteile der Naturfarbstoffe (mangelnde Licht- und Waschechtheit) durch Entwicklung synthetischer Farbstoffe zu kompensieren. Das ‚Farbenchemische Praktikum’ (Möhlau und Bucherer, Leipzig 1908) wurde zum wertvollen Leitfaden für Generationen von Studenten. Außerdem hat Möhlau neben Wilhelm Stein (1811-1889) und Walter König (1878-1964) maßgeblichen Anteil am Aufbau der umfangreichen ‚Historischen Farbstoffsammlung‘ am Dresdner Institut für Organische Chemie, in der vom Naturfarbstoff bis zu den synthetischen Farbstoffen über 8.000 Muster vereint sind. Die Sammlung dokumentiert die weltweite Entwicklung der Farbstoffchemie und Farbenindustrie und legt Zeugnis ab von 150 Jahren rasanter Wissenschaftsentwicklung. Die Dresdner Sammlung wurde entsprechend der chemischen Struktur der Farbstoffproben nach dem heute international verbindlichen ‚Colour Index‘ geordnet.

Der Deutsche Werkbund hatte sich 1910 das Ziel gestellt, mit der Einführung einer all- gemein nutzbaren Farbenkarte die Qualität handwerklicher und industrieller Produkte zu verbessern. Der hierzu mit einer Recherche beauftragte Tübinger Textilchemiker Paul Krais (1866- 1939), der 1912 den Vorsitz der Arbeiten zum ‚Deutschen Farbenbuch‘ übernahm, schlug 1914 die ‚Baumann-Prase-Farbtonkarte’ zur einheitlichen Anwendung in Industrie und Handwerk vor. 1910 bereits hatte der Malermeister Otto Prase (1874-1954) im thüringischen Ilmenau eine Systematik zu einer praktikablen Farbtonkarte für das Malerhandwerk erdacht, die er ein Jahr später im erzgebirgischen Aue mit Hilfe des dort ansässigen Farbkartenherstellers und Maler- meisters Paul Baumann (1869-1961) realisieren werden konnte. ‚Baumanns Neue Farbtonkarte – System Prase’ von 1912 erwies sich über Jahrzehnte als nützliches Arbeitsinstrument für Architekten sowie das Malerhandwerk, aber auch in Farbforschungslaboratorien der Universitäten Leipzig und Dresden. August Kirschmann in Leipzig sowie August Klughardt (1889-1970) am Wissenschaftlich-Photograpfischen Institut in Dresden nutzten die hervorragende Qualität der Farbtonmuster der Baumann-Prase-Farbtonkarte z.B. für ihre Schwellen- bzw. Kreiseluntersuchungen. Klughardt setzte jene Farbmuster auch für Referenztafeln zur Farbenfotografie von AGFA Wolfen ein (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Nach dem 2. Weltkrieg gab es Bemühungen, an die Qualität der Baumann-Prase-Farbtonkarten in Aue anzuknüpfen, sie weiterzuentwickeln und farbmetrisch zu untermauern. Anstrengungen in den 70er Jahren durch Manfred Adam (1901-1987) sowie später durch den Leipziger Farbenforscher Gerhard Zeugner (geb. 1914) konnten nur in kleiner Serie realisiert werden oder blieben Entwurf.

Der Systematiker Otto Prase, bereits während des 1. Weltkrieges durch eine Zufallsbegegnung mit Kirschman in Leipzig angeregt, leistete selbst noch in der schwierigen Zeit des 2. Weltkrieges Pionierarbeit zur Nomenklatur von Meßfarbtafeln für den Vierfarbendruck mit seinen Experimentalstudien zu einem ‚Tausendteiligen Würfel’, die er 1945/46 im Selbstverlag veröffentlichte. Anfangs der 50er Jahre nahmen sich unabhängig voneinander gleich Mehrere jener Systematik an, ohne sich allerdings auf Prase zu berufen. Das Prinzip des bereits 1923 von ihm kombinatorisch definierten Würfels wird fast gleichzeitig von Aemilius Müller (1901- 1989) in der Schweiz (Dreifarbenwürfel 1000. Winterthur 1951) sowie von dem aus Sachsen stammenden Drucktechniker Alfred Hickethier (1903-1967) herausgebracht (Farbenordnung Hickethier / FOH 52). Hickethier ging bei Foerster & Borris in Zwickau /Sa. in die Lehre, eine der wenigen Druckereien, die in den frühen 20er Jahren bereits Mehrfarbendrucke in hoher Qualität herstellten. Aus der Erkenntnis, dass noch bessere Druckergebnisse nicht ohne entsprechende Grundlagen möglich sind, arbeitete er später in Hannover sein Lebenswerk aus, die ‚Farbenordnung Hickethier’. Als „Ein-Mal-Eins der Farbe“ wurden die Grundlagen in mehreren Sprachen publiziert sowie schließlich postum 1972 mit einer farbmetrischen Begründung durch Siegfried Rösch als ‚Große Farbenordnung Hickethier‘ herausgegeben.

Einen besondern Platz in der Geschichte der Farbenlehre nimmt der Leipziger Universalgelehrte, Physikochemiker und Chemie-Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald (1853-1932) ein, der sich ab 1914 in Großbothen /b. Leipzig als freier Forscher insbesondere der Farbenkunde, auch der Malkunde sowie der Systematik, Messung und Normung der Farben widmete. Wie Goethe betrachtete Ostwald später die Farbforschung als seine bedeutendste Leistung. Er war von dem Anspruch durchdrungen, etwas Ähnliches auf dem Gebiet der Farben zu schaffen, was der Musik als Tonlehre, Akkordik und Harmonik bereits seit Jahrhunderten zugrunde lag.

Ostwald gab neben einer Vielzahl theoretischer Abhandlungen umfangreiche Farbkartenwerke für die Praxis in verschiedenen Ausgaben und Auflagen heraus. Seine ‚Farbenfibel’ von 1917 enthält den ersten komplexen Entwurf seiner Systematik der Körperfarben, die ihm im Gegensatz zu den Lichtfarben für die Farbenpraxis wichtiger erschienen. Der auf Fechners Reiz-Empfindungsgesetz aufbauende ‚logarithmische Farbkörper‘ entspricht der Gestalt eines Doppelkegels, in dem die Körperfarben systematisch in Stufen um eine senkrechte Grauachse (Unbuntreihe) zwischen Schwarz und Weiß untergebracht sind. ‚Farbtongleiche Dreiecke’ (gleichseitige Dreiecksflächen, gespannt zwischen Schwarz, Weiß und der jeweiligen ‚Vollfarbe’ -den Körperfarben höchster Intensität-, enthalten empfindungsgemäß gleichabständig gestufte Abkömmlinge der Vollfarbe). Sie bilden Reihen mit übereinstimmenden visuellen Qualitäten: ‚Weißgleiche‘ und ‚Schwarzgleiche‘, ‚hellklare, dunkelklare und getrübte‘ Reihen sowie durch ringförmige Reihung im Körper ‚wertgleiche’ Farben. Dem Anliegen einer breiten gestalterischen Anwendung dienten der ‚Farb-Normenatlas‘ sowie mehrere ‚Farbenorgeln‘ (z.B. aus Pasten oder Pulvern). Durch die Begegnung mit Paul Krais 1914 entwickelte sich ein intensives Zusammenwirken am Vor- haben eines internationalen Farbenatlas, das letztlich jedoch unrealisiert blieb. Auf Ostwalds Betreiben wurde 1920 in Dresden eine ‚Werkstelle für Farbkunde‘ mit Filialen in Chemnitz und Meißen als Anlaufstellen für Industrie und Handwerk eingerichtet. An der Arbeit jener Werkstellen hatten der Chemiker Eugen Ristenpart (1873-1953) in Chemnitz sowie ab 1924 auch Paul Krais in Dresden großen Anteil. Ostwalds grundlegendes Bemühen erscheint von bleibendem Wert und auch dessen ‚Biologische Energetik’ hat sich als visionärer Vorgriff auf heutige Erkenntnisse der Biopsychologie über die farbrelevanten Vorgänge in der Netzhaut erwiesen.

Wilhelm Ostwalds Gehilfe in Großbothen war der Mathematiker und Lehrer Manfred Adam (1901-1987), der bereits vor und während seiner Studienzeit in Leipzig sowie dann noch bis 1932 bei Ostwald tätig, als dessen ‚Farborgelwart‘ besonders geschätzt wurde. Geprägt durch die frühe Zusammenarbeit mit Ostwald charakterisiert Adam die Herausforderung, die 1954 durch seine Berufung an das Wilhelm-Ostwald-Archiv in Großbothen vor ihm stand: „Es galt, für die internationale CIE–Farbmessung …geeignete Unterlagen und Anwendungen zu finden, die Einführung dieser neuen Messmethode in die Industrie vorzubereiten und eine wahrnehmungsgemäße Farbstandardisierung und -kennzeichnung einheitlich für die gesamte Industrie zu fundieren, wobei die klassischen Farbsysteme Munsell, Ostwald und Baumann-Prase richtunggebend sein konnten.“ In Erfüllung jener Aufgabe kommt Adam das Verdienst zu, zielstrebig in der Ostwaldschen Tradition für neue Aufgaben der Farbenmessung, -systematik und -gestaltung gewirkt und die Entwicklung eines neuen Grundsystems als Farbkartenentwurf ‚TGL 21579’ zur Reife gebracht zu haben. Auf der „Interfarbe Dresden 1966“ stellte Adam das Ergebnis erstmals vor. Wie die bereits im westlichen Teil Deutschlands maßgeblich durch Manfred Richter erarbeitete DIN 6164 umfasste auch die TGL- Farbenkarte 24 farbtongleiche Flächen. Adam verbesserte dazu die Struktur des Ostwaldschen Farbtonkreises und wählte in Abweichung zu Ostwald für den Farbkörper eine stärkere Repräsentation der Eigenhelligkeit der Vollfarben in Form eines schiefen Doppelkegels, den man jedoch auch zur Gestalt des Doppelkegels gemäß Ostwald transformieren konnte. Den farbtongleichen Dreiecken legte er dazu die visuellen Kriterien Reinheit (R), Klarheit(K) und Tiefe(T) zugrunde. Nachfolgend begleitete Adam auch die Herstellung anwendungsspezifischer Farbkarten, Messleitern und Anschauungstafeln als Nachfolge- Produktion der Baumann-Prase-Farbtonkarten in Aue und Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt).

Innovationsschub durch Farbenphotografie und Farbmessung

Im Zusammenhang mit lithographischen Halbton-Druckverfahren war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Photochromie bereits entwickelt. Neue Herausforderungen stellte z.B. auch die in Dresden von Hermann Krone(1827-1896) während des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts begründete wissenschaftliche Photografie. Die Photo-, Film- und Kinotechnik trat auf den Plan und erforderte wissenschaftlichen Vorlauf und technische Umsetzungen sowie eine enge Verbindung von Photophysik, Photochemie und Technischer Optik. Damit in engem Zusammenhang standen notwendig theoretische Begründungen sowie Verbesserungen der Farbmeßmethoden.

Robert Luther (1868-1945), bedeutender Schüler und Assitent von Ostwald, einst auch dessen Subdirektor in Leipzig, nahm 1908 den Ruf auf die Stiftungsprofessur für wissenschaftliche Photografie in Dresden an. Das nach der Vorarbeit von Herrmann Krone von ihm neu ein- gerichtete gleichnamige Institut (WPI) erlangte schnell internationale Anerkennung; 1931 fand in Dresden der VIII. Internationale Kongress für Photografie statt. Neben Versuchen zur Farbenphotografie befasste sich Luther mit der Anwendung der physiologischen Optik auf Lichttechnik und Photografie. Besondere Verdienste erwarb er sich im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des deutschen Normverfahrens zur Empfindlichkeitsbestimmung photografischer Schichten. Luther beschäftigten besonders auch farbenphysiologische und -psychologische Fragestellungen. Hervorzuheben ist sein Beitrag zu Farbreizmetrik. In der Schrift ‚Aus dem Gebiete der Farbreizmetrik‘ beschreibt Luther 1927 die später nach ihm benannte ‚Luther-Bedingung‘. Sie legt fest, wie Filter für eine subjektive trichromatische Farbenanalyse bzw. -messung beschaffen sein müssen. Außerdem entwickelte er eine neue dreidimensionale Darstellungsart der Pigmentfarben, indem er einen farbreizmetrisch begründeten Farbenkörper in ‚Doppelfeigenform‘ vorstellt, der 1928 auch von N. D. Nyberg entwickelt wurde (deshalb später auch ‚Luther-Ny- berg-Farbkörper genannt). Eine der letzten grundlegenden Dissertationen, die am WPI unter Luther betreut wurden, widmete sich auch der Theorie des Mehrfarbenbuchdruckes (Hans Neu- gebauer 1934).

August Klughardt (1887-1970), in Dresden 1922 habilitierter Physiker, Privatdozent für Optik und Farbenlehre und späterer a.o. Professor bei Robert Luther am WPI, erwarb sich be- sondere Verdienste vor allem als Leiter der Abteilung Farbforschung am Deutschen Forschungsinstitut für Textilindustrie (1926-1936), dem Paul Krais vorstand. Zahlreiche Arbeiten insbesondere zur praktischen Optik, Kinotechnik, Farb- und Glanzmessung und Farbenlehre dienten grundlegend der Farbmetrik wie der Farbenphotographie. Seine Dissertation 1911 in Jena verfasste Klughardt über ‚Einige Erscheinungen, die bei der Beugung des Lichtes durch Gitter auftreten‘. Der praktischen Optik galt auch in den Folgejahren zunächst sein Hauptinteresse. Er

sammelt dazu wichtige Erfahrungen in marktführenden Firmen der optischen Industrie (Busch, Rodenstock, Ernemann). In den Ernemann-Werken in Dresden wirkte Klughardt maßgeblich an der Entwicklung des weltbekannten Objektivs Ernostar 1 : 2 mit. 1927/28 folgten erste Veröffentlichungen zu dem damals neuen Gebiet der Farben- und Glanzmessung. Klughardt holte 1928 den jungen Manfred Richter als Assistenten in sein Farbforschungslabor. Mit ihm veröffentlichte er 1932 einen kritischen Aufsatz, in dem ihre inzwischen auf dem neuen Gebiet gesammelten Erfahrungen zusammengefasst und den Farbmeßmethoden Wilhelm Ostwaldss entgegengestellt werden: ‚Über die Gültigkeit des Ordnungsprinzips und der Farbmesstechnik nach Ostwald‘. Neben weiteren Arbeiten zur Farbenlehre und Farbmessung, insbesondere zur Glanzmessung, folgten 1934/35 z.B. auch Arbeiten zur ‚Neueinteilung der Graureihe‘ bzw. ‚Bestimmung einer Reihe empfindungsgemäß gleicher Sättigung‘. Nach Kriegsende leitete Klughardt am Dresdner WPI in engem Kontakt mit der Agfa Filmfabrik Wolfen noch bis 1950 ein Farbforschungslabor, in dem u.a. ein ‚Integrator‘ zur schnellen Ermittlung von Farbvalenzen entwickelt wurde.

Der aus Dresden stammende, spätere Nestor der Farbenlehre und Farbmessung in Deutschland, Manfred Richter (1905-1990), war zunächst Klughardts Assistent von 1927 bis 1933. Dort war er u. a. mit Arbeiten an der Bibliographie der Farbenlehre betraut, die er auch als Angestellter im Lichttechnischen Labor der OSRAM GmbH in Berlin weiterführen konnte und 20 Jahre später zu einer zweibändigen ‚Internationalen Bibliographie zur Farbenlehre und ihrer Grenzgebiete’ für den Zeitraum von 1940 und 1954’ führte. Nach seiner Promotion 1937 unter Luther in Dresden zum Thema ‚ Wirkungsgeschichte der Goetheschen Farbenlehre’ führte ihn sein Weg schließlich an das Staatliche Materialprüfungsamt (MPA), der späteren Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) in Berlin. Unter seiner Leitung entstand hier ein Laboratorium zur Farbforschung, in dem er sich über zwei Jahrzehnte (1942-62) überwiegend um die Ausarbeitung des Farbsystems DIN 6164 und der DIN-Farbenkarte kümmerte, mit der sein Name untrennbar verbunden bleibt. Richter gründete die DIN- Farbenkarte auf Farbvalenzen und nicht auf Pigmente oder Farbstoffe, um ein “universelles Arbeiten unabhängig von den verwendeten Farbmitteln” zu garantieren. Er ordnete die Farbmuster schließlich nach den anschaulichen Kenngrößen Buntton (T), Sättigung (S), und Dunkelstufe (D). Das langjährige, auf wissenschaftliche Begründung und Normung gerichtete Wirken Richters ist auch in Bezug auf Gründungs- und Herausgebertätigkeit mit dem Ostwalds vergleichbar. Der Deutsche Farbenausschuß (1941), der Normenausschuß Farbe / FNF (1949) sowie die Deutsche farbwissenschaftliche Gesellschaft / DfwG (1974) sind Gründungen, die auf Richter zurückgehen, ebenso die verdienstvolle Herausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift ‚DIE FARBE’.

Auf den vordem ebenfalls in Dresden wirkenden Physiker Friedrich Richard Ulbricht (1849-1905) geht um 1900 die Entwicklung des Kugelphotometers zurück (später ‚Ulbrichtsche Kugel’ genannt), das er zur Prüfung von Glühfäden einsetzte. Das Prinzip zur diffusen Lichtstreuung wird heute auch in der Kolorimetrie sowie in modernen Farbmessgeräten genutzt. Wir verdanken die Nutzung der Kugel zur Farbmessung jedoch nicht nur der einstigen Intention des Physikers Ulbricht, sondern auch der Jahre später erst auftauchenden Idee Luthers, das Prinzip ebenso für Farbmischzwecke zu nutzen (1928). Aber es bedurfte auch des technischen Geschicks von Luthers Kollegen Klughardt und dessen damaligen Diplomanden Richter, 1933 jenes Prinzip zur experimentellen Untersuchung der Farbsättigung im Rahmen der Diplomarbeit zu erproben.

Mit Leipzig, Jena und Dresden eng verbunden ist auch das Lebenswerk des außerordentlich vielseitigen Mineralogen Siegfried Rösch (1899-1984), Schüler des ebenso für die Farbenlehre bedeutenden Heidelberger Mineralogen, Kristallographen und Naturphilosophen Victor M. Goldschmidt (1853-1933). Rösch habilitierte sich 1929 in Leipzig bei Friedrich Rinne (1863-1933) mit der Schrift ‚Darstellung der Farbenlehre für die Zwecke der Mineralogen‘,

deren Bedeutung weit über die Mineralogie hinausging. Sie bietet nicht nur einen historischen Überblick über das damalige Wissen, sondern auch eine konsequente Hinwendung zum Luther- schen Gedanken der ‚Optimalfarben‘. Der Kontakt mit Luther 1927 dürfte die Entwicklung Röschs auch entscheidend beeinflußt haben. An den Optimalfarben entwickelte Rösch Begriff und Definition der sog. ‚Relativ-Helligkeit‘. Auch der Entwurf eines neuartigen Farbmessgerätes entspringt seiner Beschäftigung mit den Optimalfarben. Er baut sein ‚Optimalkolorimeter‘ im Leipziger Mineralogischen Institut in enger Fühlung mit Luther in Dresden, Pulfrich in Jena und Schrödinger in Berlin, entwickelt die ‚Rösch-Kennzahlen‘ sowie den ‚Rösch-Farbenkörper‘. Auch leistete Rösch Grundlegendes zu einer Dezimalklassifikation der Farben. Rösch ist wie schon erwähnt schließlich auch die Bewahrung der Lebensleistung des Drucktechnikers Alfred Hickethier und deren farbmetrische Bestimmung zu verdanken.

Bleibende Verdienste erwarb sich auch Eberhard Buchwald (1886-1972), Inhaber der ‚Ernst-Abbe-Professur’ für Physik in Jena von 1945 bis 1954, dem wir u. a. die fachlich übergreifende Schrift ‚Fünf Kapitel Farbenlehre’ (1955) verdanken. Es fasst wichtige Teile der modernen Farbenlehre und Farbmetrik zusammen. Buchwald gehörte wie Rösch zu den begnadeten Wissenschaftlern, die mehr waren als Fachgelehrte. Davon zeugt eine Bemerkung, die uns von Max Born überliefert ist. Er schreibt an Buchwald: „Ich habe Ihr Buch …in den letzten Tagen zu lesen angefangen, von vorn und von hinten….Ich finde es ausgezeichnet, das Beste und Klars- te, was ich bisher über das Thema gelesen habe (seit Helmholtz). Besonders schön fand ich Ihr letztes Kapitel über Goethe, das genau den Kern der Sache trifft und zeigt, dass Sie mehr als ein bloßer Physiker sind.“

‚Sammlung Farbenlehre’ als Instrument der Wissenschaftskommunikation

Die hier dargestellten Inhalte sowie einige Leihgaben für die Ilmenauer Ausstellung zum Lichtkongress 2008 resultieren aus einer relativ jungen Sammlung an der Technischen Universität Dresden. Vor vier Jahren wurde dort der Entschluss zu einer neuen Lehr- und Forschungssammlung gefasst, die ihre wesentliche Aufgabe darin sieht, Zeit-, Sach- und Personenzeugnisse auf dem multidisziplinären Gebiet der Farbenlehre in Wissenschaft, Bildung, Kultur und Kunst im Mitteldeutschen Raum zu bewahren und zu Lehr- und Forschungszwecken zusammenzuführen. Seit Herbst 2005 befindet sich die ‚Sammlung Farbenlehre’ im Aufbau und konnte erste Schwerpunkte in Dokumentation und wissenschaftlicher Aufarbeitung setzen.

Als ein Instrument moderner Wissenschaftskommunikation soll sie zum Bindeglied wer- den zwischen den beiden an der Dresdner Universität bereits existierenden wertvollen Sammlungen zum Komplex ‚Licht und Farbe‘: der ‚Historischen Farbstoffsammlung’ am Institut für Organische Chemie sowie der ‚Hermann-Krone-Sammlung’ zu den Anfängen der Photographie am Institut für Angewandte Photophysik (vormals ‚Wissenschaftlich-Photographisches Institut / WPI). Einen Schwerpunkt der neuen Sammlung werden auch Ergebnisse aktueller Forschung u. Lehre bilden: neue natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse sowie technische Innovationen, wie die gegenwärtige Entwicklung organischer Leuchtdioden (OLEDs) oder Erzeugnisse der Photovoltaik.

Die Sammlungsidee kann hoffentlich auch beflügeln, dass die so überaus spannend und reich differenzierte Wissenschaft von Licht und Farbe als Disziplin übergreifenden Denkens helfen kann, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Wirklichkeiten der Lebenswelt, Wissenschaft und Kunst. In einer von Spezialisten geprägten Informationsgesellschaft wird dies umso dringlicher, je deutlicher sich ihnen die Grenzen ihres separierten Denkens offenbaren.

Vollständiger Beitrag zum Download:

Verantwortung liegt bei dem Urheber des Beitrags: Eckard Bendin

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